Sunday, June 08, 2008

Wien (Weltrauchen, Teil 2)



Kiosk gibt es nicht. In Wien kauft man Zigaretten in einer Trafik, wobei man, bitte, die letzte Silbe betont.

Trafik gibt es nicht. Zumindest die eine, meine, unsere Tabaktrafik in Glanzing. Jedes Mal, wenn ich nach Wien komme, frage ich meine Mutter: "Gibt es schon einen neuen Inhaber?"

Gibt es nicht.


"Bitte zwei Packerl Marlboro", sagte ich als kleiner Junge.
"Grüße an den Vater", sagte Herr N. freundlich.
Das Wechselgeld durfte ich immer behalten. Der alte Herr N., der seufzend seine Beinprothese hin- und herzog, war für mich der Inbegriff eines österreichischen Trafikanten. Seit jeher, schon bald nach Erlass des Tabakmonopols durch Josef II., wurden Kriegsversehrte und schuldlos verarmte Beamte bei der Vergabe von Tabakverkaufsbewilligungen bevorzugt. Eines Tages war Herr N. nicht mehr da.

"Bitte ein Packerl Marlboro Lights", sagte ich als Zivildiener.
(Zivildienstleistender gibt es nicht.)
"Grüße an die Mutter", sagte Herr H. freundlich.
Das Wechselgeld durfte ich immer behalten, meine Zigaretten bezahlte ich aus eigener Tasche. Herr H. war ein regelrechter Charmeur, der seine weibliche Kundschaft mit Komplimenten überhäufte und den kleinbürgerlichen Alltag der Glanzinger Damen ein wenig aufzuhellen schien. Er war eine Generation jünger als sein Vorgänger und aus diesem Grund vom Krieg verschont geblieben. Eines Tages war Herr H. auch nicht mehr da.

"Bitte ein Packerl rote Gauloises", würde ich heute gerne zu Herrn N., Herrn H., oder zu wem auch immer sagen, nur steht die Glanzinger Trafik leer. Sogar der altbewährte Zigarettenautomat wurde entfernt, der Abdruck an der Außenfassade stimmt wehmütig. Das Ende einer Ära.

In Deutschland wundere ich mich immer, dass in jeder Kneipe ein Zigarettenautomat herumsteht und dass Tabakwaren regulär an Tankstellen oder im Supermarkt erhältlich sind. In Österreich dürfen Zigaretten zum regulären Preis ausschließlich in Tabaktrafiken ausgegeben werden, auch einen Automaten findet man, wenn man einen findet, nur in der Nähe einer Trafik. Kauft man Zigaretten an der Tankstelle oder im Restaurant, wird ein saftiger Aufschlag fällig. Eine Trafik ist also notwendig, um den menschlichen Grundbedarf an Zigaretten zu decken. Darüber hinaus erhält man in einer Tabaktrafik auch Zeitungen, Zeitschriften, Schreibwaren, Fahrscheine, Parkscheine, Lottoscheine, Briefmarken, Brieflose und Rubbellose. Ohne Trafik hat man demnach ein empfindliches Infrastrukturproblem.


Ein Profiteur findet sich immer: In Glanzing ist es die sogenannte "Kondi", eine heruntergekommene Konditorei, die sich in unmittelbarer Nähe zur ehemaligen Trafik befindet und seit Jahrzehnten verrauchten, vertrockneten Kuchen sowie schlechten Kaffee verkauft. Da es in Glanzing weit und breit keine andere Tabaktrafik gibt, wurde dieser Konditorei vor kurzem das Recht eingeräumt, Zigaretten zu Trafikpreisen zu verkaufen, anstatt von Amts wegen darauf zu drängen, die eine, meine, unsere Trafik neu zu verpachten! Ich fahre lieber drei Stationen Bus oder fünf Minuten Fahrrad oder eine Minute Auto, als einen Fuß in diese verrauchte "Kondi" zu setzen, um dort Zigaretten zu kaufen.

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