Friday, March 16, 2007

Antananarivo.


Kurztrip nach Madagaskar: macht eigentlich keinen Sinn, muss aber trotzdem sein, denn die Firma hat prinzipiell Recht. Also Samstag abend nach Paris, eine Nacht im Ibis Charles de Gaulles, Sonntag früh morgens runter nach Antananarivo, Mittwoch nacht wieder zurück. Natürlich alles zum alleinigen Zwecke der Bekämpfung der Armen, äh, Armut.

Antananarivo ist übrigens für madagassische Verhältnisse ein eher kurzer Name, mein Kollege wohnt zum Beispiel in der
Rue Rainandriamampandry. Vornamen, Nachnamen, Städtenamen, Straßennamen: alles zehnsilbig, unaussprechbar und unmöglich zu merken. Daher werden fast alle Namen abgekürzt, Antnanarivo heißt Tana, die Leute heißen Wou, Zou, Lou usw. - Mein Kollege vor Ort heißt weiterhin wie in Deutschland und kann seine gewohnt dynamischen und stimmgewaltigen Kinder an den Ohren in die Luft heben, ermahnt mich aber ähnliches nicht zu Hause auszuprobieren. Diese Gefahr besteht nicht.

Tana ist charmanter als jede mir bekannte Stadt auf dem afrikanischen Festland. Häuser, Autos (siehe oben) und Menschen wirken etwas gepflegter als andernorts; die Slums hat man sicherheitshalber an den Stadtrand gelegt. Auch das Essen ist hervorzuheben: Während man in Lagos ein halbes Hähnchen für 15 Dollar bestellt und ein verkohltes Knochenhäufchen bekommt, während man sich in Dar-es-Salaam mit dem ersten Salatblatt eine Amöbenruhr einfängt, isst man in Tana das zarteste und bekömmlichste Zebu-Fleisch mit den erlesensten Beilagen.

Dafür, dass man sich hier noch vor nicht allzulanger Zeit die Köpfe ordentlich eingeschlagen hat, wirkt alles sehr friedlich. Nur die Polizei wollte mich nachts zunächst unbedingt mit auf die Wache nehmen, aber man konnte sich auf einen Vergleich einigen. Das war dann auch der einzige Verhandlungserfolg der Reise.

Saturday, March 03, 2007

Sorglos.



Anna hat heute gemailt und gesagt, es gehe ihr nicht gut. Anna hat eine Erkältung, Anna liegt im Bett. Anna ist mit mir sehr früh aufgestanden, um 2 Uhr morgens letzten Dienstag. Wir haben uns in ein Taxi gesetzt und sind zum Flughafen Ben-Gurion gefahren. Das hat 120 Shekel gekostet, Anna hat bezahlt. Wir haben umgerechnet: 120 Shekel sind 22 Euro, ein Schnäppchen, weil der Preis für die einfache Bahnfahrt aus dem Stadtzentrum 8 Euro pro Person beträgt. Kurz vor der Gepäckdurchleuchtung eine Frau: "Was it your first visit to Israel? Are you a couple?" Anna hat zwei Mal verneint. "Then why are you travelling together?" Ich musste meinen Koffer öffnen und alles auspacken: Hemden, Pullover, eine Jeans, ein neues Paar Schuhe, den Kulturbeutel. Den Kulturbeutel sollte ich ausleeren. Die Frau nahm meinen Bartschneider in die Hand, schaltete ihn ein. Er brummte wie ein Dildo, und wir mussten lächeln. "Did you pack your suitcase yourself?" Ich nickte. So ging das fast zwanzig Minuten, dann schob die Polizistin meinen Koffer und die überall auf einem Tisch verteilten Klamotten beiseite, bedankte sich und ließ mich wortlos stehen. Ich packte alles wieder ein und lief zum Check-In-Schalter, an dem Anna auf mich wartete. Da war Anna noch nicht krank. Auch bei unserem Zwischenstopp in Budapest nicht. Jetzt liegt Anna im Bett und denkt nach über Israel, über den Grenzzaun, die jungen Frauen in den olivgrünen Armeejacken, den Ostteil Jerusalems, den vergangenen Sommer mit seinen vielen Demonstrationen, als zeitgleich ganze Wohnblocks in Beirut in Schutt und Asche gelegt wurden und ein Soldat einem Aktivisten die Gummipatrone aus seinem Gewehr in den Hinterkopf schoss. Es war Krieg letzten Sommer, und ich habe bis vor einer Woche am Strand von Tel Aviv gesessen und davon nichts bemerkt. Ich habe einen Hund photographiert, dessen Fell einen optimalen Kontrast zu den orangefarbenen Plastikstühlen eines Strandcafés darstellte. Ein gutes Photo. Ich habe im Februar bei 22 Grad auf das Meer geschaut und festgestellt, dass es in Israel einen Kaffee gibt, der besser schmeckt als in römischen Espressobars, ich habe Einat kennen gelernt und ihre wunderschöne Tochter Shani. Shani ist sieben Monate alt. Als Shani geboren wurde, fuhren fünf Libanesen in einem orangefarbenen Mini Couper Cabriolet durch das zerstörte Beirut. In der Spiegelung ihrer Sonnenbrillen konnte man zerstörte Häuser sehen, die Gesichter der jungen Menschen angewidert, das Bild wurde zum Pressephoto des Jahres gewählt. Mein Photo des Jahres ist ein Dalmatiner vor sehr sauberem Meer, an einem sehr sauberen Strand. Mein Photo des Jahres erinnert mich an wunderbares Essen, große Gastfreundschaft und viele Geschichten von der Queeruption (www.queeruption.org), die ebenfalls vor sieben Monaten stattgefunden hat. In Tel Aviv, während im Norden des Landes Soldaten von ihren Befehlshabern erklärt bekamen, dass die abgeschossenen Raketen präzise programmierbar seien, Abweichungen maximal einen Radius von 5 Metern Durchmesser betragen könnten. Die Soldaten haben das geglaubt, sie glauben es auch jetzt noch, auch nachdem die IEER längst das Gegenteil bewiesen und dafür die Schäden im ehemaligen Jugoslawien untersucht hat. In einem indischen Restaurant habe ich einen dieser israelischen Soldaten getroffen. Er hat mir seine Geschichte erzählt, von seiner Rolle als Reservist und von seiner Wut, die Familie und das Zuhause für einen Kriegseinsatz verlassen zu müssen. Er erklärte mir, dass man in einem Krieg nicht wissen könne, was passiere, die Aktionen seien von der Regierung beschlossen und von ihm nur ausgeführt worden. Ein netter junger Mann mit Zopf, gutmütigen Hundeaugen und den überzeugenden Argumenten seiner Vorgesetzten. Aber eigentlich geht es mir nicht um diesen jungen Mann, ich will von Anna sprechen. Sie liegt im Bett, muss sehr viel husten und versucht, sich Rechenschaft darüber abzulegen, ob sie mir das richtige, das echte Israel gezeigt hat. Anna hat heute geschrieben. Sie hat angekündigt, mir bei unserem nächsten Besuch das politische Israel zeigen zu wollen, sie habe ein schlechtes Gewissen, weil wir es so gut hatten während unserer Rundreise. Anna ist wunderbar. Anna hat mich bei der Hand genommen und mich in den Bus nach Masada gezerrt. Ich solle in Israel auf keinen Fall Bus fahren, hatte man mich vor meiner Abreise aus Frankfurt gewarnt, aber Anna ließ meine Angst nicht zu. Ungefährlich sei das mittlerweile, beschwichtigte sie, und wir fuhren durch die Wüste hinter Jerusalem, die durch die Regenfälle der vergangenen Wochen überraschend grün aussah. Zwischen den Hügeln die Hütten der Beduinen. Die Beduinen, das erzählte Anna, würden von der Regierung am Ziehen gehindert und lebten deshalb in Blechbehausungen am Straßenrand. Ich konnte Wassertanks sehen, Holzbretter, die vor der Sonne Schutz bieten, in kurzen Abständen auch immer ein paar Kamele, die sich über das frische Gras hermachten. Ich versuchte, zu photographieren, aber der Bus fuhr schnell über die kurvenreiche Straße. Ein paar Kilometer weiter erreichten wir das erste Kibbuz. Der Bus wurde durch eine Schranke gelassen, vor einem Häuschen saß der bewaffnete Pförtner. Im Inneren des umzäunten Kibbuz begrünte Vorgärten, einstöckige Häuser und ein Straßenraster, das für einen Moment den Gedanken zuließ, man führe durch ein Dorf im US-Bundesstaat Nebraska. Eine gute Stunde später endlich Masada: Hoch oben auf einem sandigen Hügel, unten die Seilbahnstation mit integrierter Cafeteria. Anna und ich kauften Tickets und folgten Hinweisschildern bis zu einem kleinen Kino. Wir erfuhren, dass man uns einen kurzen Film über die Bedeutung Masadas zeigen wolle, der die Wartezeit bis zum nächsten Gondelstart verkürze. Masada sei das Symbol des jüdischen Freiheitswillens, eröffnete uns ein Moderator, der durch den Film führte, und beschrieb den Heldenselbstmord von über 900 Juden, die sich der Übermacht aus 12.000 römischen Legionären ausgesetzt sahen. Lieber in Freiheit sterben, als den Römern als Sklave dienen, der Moderator stockte kurz, schluckte und richtete seine Frage mit Blick in die Kamera an uns Zuschauer: "Wie würden Sie sich entscheiden?" Wir fuhren mit der Seilbahn nach oben. Sie habe mir zu wenig von dem politischen Israel gezeigt, schreibt mir Anna heute, und dass ihr Hund bei ihr im Bett liege und ihr Gesellschaft leiste. Ein schöner Hund, ein Mischling aus Labrador und Dackel, den sie aus Spanien mitgebracht hat. In Tel Aviv gibt es viele Hunde. Und ein Gesetz, nach dem jeder Hundebesitzer die Scheiße seines Lieblings vom Bürgersteig greifen und in einen Mülleimer werfen muss. Abends stand ich oft auf dem Balkon von Siris großzügiger Wohnung im Süden der Stadt und habe aus dem vierten Stock dabei zusehen können, dass die Anweisung von den Bewohnern der Stadt ernst genommen wird. Manchmal stellte sich Siri zu mir auf den Balkon und berichtete von der Queeruption. Im Krieg gebe es ohnehin die besten Partys, erzählte sie, im Krieg gehe man erst gegen den Krieg demonstrieren und verabrede sich gegen Abend zu einer Feier. Das Leben sei intensiv in Tel Aviv, und in Kriegszeiten steigere sich diese Lebensfreude noch. Ich konnte das verstehen. Anna schrieb heute von ihrem schlechten Gewissen. Sie habe mir zu wenig von dem Furchtbaren gezeigt und wolle mir deshalb eine DVD-Dokumentation schicken, die 'Route 181' heißt und über die Konflikte in der Region Aufschluss gebe. Ich habe Anna geantwortet und geschrieben, dass ich mich darüber freuen würde. Am Schluss von Annas Mail ein Link. Sie habe mir von der Geschichte erzählt, schreibt sie, man könne auf dem Video sehen, wie kurz der Zug der Demonstranten gewesen sei, auch werde ich verstehen, dass es unmöglich war, den Schüssen der Soldaten auszuweichen. Die Frau mit dem pinken Haarband sei T. Von T. hatte mir Anna schon in Jerusalem erzählt, kurz nach unserem Besuch der Klagemauer. T. sei die erste bei dem Verwundeten gewesen, sie habe seinen blutenden Kopf gehalten und dafür gesorgt, dass ein Krankenwagen gerufen wurde. T. sei erst spät zur Gruppe der Demonstranten zurückgekehrt und habe mit Blick auf ihr blutverschmiertes T-Shirt nur gesagt: "It's ok, it's not mine." An diesen Ausspruch könne man sich auch heute noch erinnern, man habe ihn während des Krieges immer wieder in unterschiedlichen Zusammenhängen zitiert. Der Link führt also zu einem Video, das man im Internet finden kann, wenn man möchte. Liebe Anna, alles war politisch an unserer Zeit in Israel. Meine 96-jährige Tante, die 1933 aus Berlin geflohen ist, meine 94-jährige Tante, die im Jahr 1936 folgte. Die Geschichten über meinen Vater politisch, selbst die wunderschöne Frau im Straßencafé, die mir so herrlich mürrisch meinen Kaffee hingestellt hat jeden morgen politisch. Jede Straßenecke erzählt ihre Geschichte, aber die beste Geschichte hat Shani als Hauptfigur, sieben Monate alt und mit Eltern, die ihre Wege durch Jerusalem über das Handy erfragen müssen, weil sie aus Tel Aviv kommen und sich in Jerusalem nicht auskennen, ihre Informationen aus Reiseführern lesen müssen. Ich habe keinen Reiseführer gebraucht, ich hatte Dich. Also Danke, vielen Dank. Und werd endlich schnell gesund. Wir müssen bald wieder los.