Saturday, February 10, 2007

Drei Reden bei gedachten Gelegenheiten.




Ästhetisches Stadium: Ankunft, Kopenhagener Flughafen, 25.01. Ich habe keine Krone und vergessen, dass Dänemark noch kein Euroland ist. Vom Flugzeug aus werde ich durch mehrere Ankunftshallen geführt, in denen sich ein Geschäft an das nächste reiht. Beim Betrachten der Boss-Auslegeware nehme ich Wohlstand als etwas wahr, das für mich in immer weitere Ferne rückt. Ich setze mein Alter in Beziehung zu meinem Kontostand, ohne daraus etwas ableiten zu können. Schließlich sehe ich an der Gepäckausgabe eine Wechselstube und tausche 70 Euro für 500 Kronen. Ein gutes Geschäft verlangt nach einem Danke, aber ich kenne das dänische Wort nicht und sage deshalb: Thank You. Mein Koffer drückt sich als zweites Gepäckstück durch die breiten Gummifäden und kommt auf mich zu. Als ich danach greifen will, stoße ich einen Herren an, der beinahe vornüber kippt. Ich starre auf seinen Mantel und finde ihn schön. Weil ich nicht weiß, was das dänsiche Wort für Entschuldigung ist, sage ich: Sorry. Der Mann, etwas irritiert, sagt: Yes. Vor der Flughafenhalle stehen Menschen in einer langen Schlange und warten auf ein Taxi. Ich stelle mich dazu. Es ist sehr kalt, trotzdem rauchen viele der Wartenden. Kurz darauf rauche auch ich. Als mir ein Taxifahrer zum Einsteigen winkt, bin ich mit dem Rauchen noch nicht fertig. Ich überlege, ob ich die Zigarette einfach fallen lassen darf und sehe mich um. Auf dem Boden liegen keine Zigaretten, obwohl jeder zweite in der Warteschlange raucht. Ich fühle eine erste Verzweiflung und frage mich, ob Dänemark eines der Länder ist, das mit umgerechnet mehreren Hundert Euro die Verschmutzng von Gehsteigen verwarnt. Ich gebe dem Taxifahrer das Gepäck und schnicke die Zigarette unter seinen silber-grauen Mercedes, dann steige ich ein. Weil ich weder den Hotelnamen, noch die Straße richtig aussprechen könnte, gebe ich dem Fahrer mein aufgeschlagenes Notizbuch. Es schaut es sich sehr lange an. Natürlich frage ich mich, ob er heimlich meine Aufzeichnungen liest und strecke meine Hand aus. Ich bin angeschnallt und komme nicht weit, erhalte aber das Notizbuch zurück. Wir fahren an. Es schneit ganz kleine Kristalle, die der große Frontscheibenwischer mit einiger Brutalität nach rechts und links fegt. Ich beschließe, Kopenhagen schön zu finden, reibe die beschlagene Scheibe mit meinem Ärmel frei und schaue hinaus. Es ist bereits dunkel. Im Hotel bekomme ich den Kaffee in einer Blumenvase und sitze auf tiefen Designermöbeln. Das ist nicht sehr angenehm und damit Spiegel der Zeit. Später im bunten Zimmer schaue ich fern und merke, dass in Dänemark nichts synchronisiert wird. Im Hintergrund brummt die Belüftungsanlage des Badezimmers. Das Bett ist zu klein für zwei Personen, deshalb gehe ich nicht mehr aus. Der Grund für meine Lethargie kommt mir lächerlich vor, aber mir fällt kein besserer ein.





Ethisches Stadium: Ich denke im Schlaf zu viel nach und bin deshalb müde, als ich aufwache. Beim Frühstück gibt es den Kaffee wieder in schwarz eingefassten Blumenvasen mit Hotellogo darauf. Ich sitze viel zu tief auf zu harten Hockern und esse Weißbrot mit Käse. Ich frage mich, wem ich eine Kurznachricht schreiben könnte und lese dann Zeitung. Wahrscheinlich bin ich einsam, aber es gelingt mir immerhin, die Überschriften zu verstehen. Ich bin also stolz und einsam. Später mache ich einen Stadtrundgang und bemerke Denkmäler und Brunnen. Auf einem großen Platz das Denkmal eines Pferdes. Ich stelle mich direkt davor, sehe aber den Reiter nicht. Da ich es für eine Huldigung der vielen Pferde halte, die in kriegerischen Auseinandersetzungen ihr Leben lassen mussten, photographiere ich es.



Um kurz vor Zwölf höre ich Marschmusik. Ich drehe mich um und sehe schwarz gekleidete Männer mit großen flauschigen Hüten auf mich zulaufen. Sie tragen Instrumente und spielen darauf. Passanten folgen ihnen und machen Photos. Ich beschließe, vor der Musikantengruppe herzugehen und werde auf einen großen Platz getrieben. Genau in der Mitte bleibe ich stehen. Ich mache ebenfalls ein Photo, als die Männer vor einem Gebäude vorbeigehen. Das Gebäude gefällt mir, es ist das königliche Theater. Am Nachmittag werde ich erfahren, dass die Musikanten die königliche Leibgarde waren. Es ist also ein Photo, auf dem die Dinge stimmig sind.



Bevor ich zum Goetheinstitut laufe, sehe ich mir Kirchen an. In einer dieser Kirchen entdecke ich eine Uhr. Sie steht vor einer Säule, genau gegenüber der Kanzel. Ich schließe daraus, dass dänische Pfarrer einem genauen Zeitplan folgen und frage mich, ob das eine Möglichkeit ist. Dänemark ist ein modernes Land. Man hat vielleicht, so denke ich, die Zeit für Predigten reglementiert, um die Menschen wieder in Kirchen zu locken. Wenn der Vatikan das erführe. Kann aber auch sein, dass jedes Mittel recht ist.



Zum Schluss meines Rundgangs laufe ich den runden Turm nach oben und schaue über die Stadt. Es ist sehr windig. Der Nieselregen ärgert meine Backen. Auf der Plattform sind außer mir noch eine alte Frau und drei Kinder in gelben Regenjacken. Die Kinder sind zu klein, um über das Geländer zu sehen und rennen deshalb wild durcheinander. Als ein Kind auf sein rechtes Knie fällt und Schmerzen hat, stehle ich mich davon.


Religiöses Stadium: Am Morgen meines letzten Kopenhagentages besuche ich Christania. Sie ist noch immer autonom, obwohl über dreißig Jahre alt. Ich bin auch über dreißig und frage mich, was mit mir passiert ist. Christiania hat Platz für über 800 Menschen, ich bin schon ausgefüllt mit mir selbst. An Marktständen werden Tücher mit den Antlitzen berühmter Persönlichkeiten verkauft, vor einer alten Lagerhalle baut jemand einen Schneemann. Ich möchte photographieren, aber das ist hier verboten. Am Ende einer langen Straße liegt das sicherste Café der Welt: Der Moonfisher.



Ich gehe hinein und bestelle einen Kaffee. Er kommt im Glas. Vor den großen Fenstern sitzen Menschen ganz bei sich selbst. Auch mich überkommt eine bemerkenswerte innere Ruhe. Aus Lautsprechern, die mit Eisenketten an der Decke befestigt sind, klingt die Musik der Beatles. Schon nach einer halben Stunde des Sitzens dringe ich zu meinem Innersten vor. Ich denke nicht mehr, ich fühle. Und ich versuche, das eine gegen das andere auszuspielen, aber es gelingt mir nicht. Ich würde gern für immer hier sitzen, muss aber aufbrechen zum Treffpunkt: 13 Uhr, Forfatterskolen.



Am Abend soll ich eine Geschichte vorlesen und nehme Platz in einem Saal. An der Decke ist der Stuck rekonstruiert und grau angemalt worden. Auch das finde ich schön. Neben mir sitzt nämlich Ida Marie Bertelsen, in die ich mich immer wieder ganz kurz verliebe, ohne es ihr zu sagen. Natürlich sage ich nichts, denn nur heimliche Liebe ist wirklich bedingungslos. Wenn man alles zu Sprache machte, was gefühlt wird, gäbe es schon bald kein Gefühlt mehr. Nach der Lesung trinken wir Rotwein aus Tetrapacks. Ich halte meinen Plastikbecher unter den Plastikzapfhahn und drücke auf einen Knopf. Es dauert nicht lange und der Becher ist voll. Ich schaue mir den Aufdruck des Pappkartons an: Dry Red Wine steht dort, 2005. Mehr brauche ich nicht zu wissen. Da es sehr spät ist und mein Flug sehr früh am nächsten Morgen geht, trinke ich schnell und viel. Kausalität interessiert mich nicht mehr. Multikausalität noch weniger, denn Ida Marie Bertelsen ist schon lange weg. Bevor sie gegangen ist, hat sie gefragt, ob ich mitkommen will auf eine Party. Aber für wen hat sie mich halten können, wenn ich doch selbst nicht weiß, aus was ich gemacht bin! Eine Frau stellt sich zu mir und beklagt sich über Kopenhagener Neubauten. Das habe ich nun davon. Sie spricht Deutsch mit mir, aber das merke ich erst sehr spät. Ich täusche deshalb Hunger vor und stelle mich ans Büffet. Ricardo Montserrat trägt einen langen Schal und einen Borsalino. Er sagt, dass er gerne vorlese und dass das nächste Treffen in Saint-Malo stattfinden müsse. Ich nicke. Draußen ist der See gefroren. Aus dem Fester sehe ich die Enten, die ganz vorsichtig auf der Eisläche schlafen. So etwas können nur Enten: vorsichtig schlafen. Aus dem Tetrapack kommt immer mehr Wein. Aus dem Tetrapack kommt immer mehr Wein. Das Mosting-Haus wurde vor mehr als Hundert Jahren gebaut. Auf dem Weg zur Metro ist der Gehweg glatt. Ich sehe mich schlittern und lache. Die Metro ist erst fünf Jahre alt. Sie ist Zukunftsmusik. Sie fährt einen Zweiminutentakt. Ihre Rolltreppen sind groß. Ich rufe mich zur Ordnung meines Selbst. Ich habe ein Vorbild. Ich habe ein Bild.


Friday, February 09, 2007

Chez Marinette



Setz‘ dich hin und ich erzähl‘ dir was. Ich erzähl‘ dir, dass sie heute aus Paris gekommen sind. Im breit bereiften Wagen, zwei Kindersitze auf der Rückbank. Später haben sie eingekauft im Le Clerk, sie haben 195 Euro ausgegeben, genau wie beim letzten Mal. Ihr Briefkasten war voll, und als sie durch den Garten liefen, konnten sie die Sterne sehen, aber die Sternbilder nicht erkennen, weil hier alles auf dem Kopf steht. Später haben sie einen Spaziergang gemacht und sich geschämt, weil das Haus, in dem die Deutschen vor sechzig Jahren gewohnt haben, noch heute leer steht. Keiner will es haben, du etwa? Bei Anbruch der Dunkelheit sind sie in die Stadt gefahren, um bei Julien zu essen. Sie haben Trinkgeld wie Touristen gegeben, dabei wohnen sie schon so lange hier. Sie sprechen unsere Sprache, sie nicken im richtigen Moment, und genauso richtig ist es, wenn sie ab und zu den Kopf schütteln. Unser Land gefällt ihnen. Sie kaufen Meersalz und schicken es nach Hause, weil es dort so teuer ist, dass man es nur in sehr feinen Restaurants bekommt. Auf dem Weg hierher kamen sie mir entgegen. Sie haben aus dem Fester gegrüßt, ich habe zurückgenickt. Ich weiß nicht, aber ich glaube, dass ich sie ganz gerne mag. Und du?

La vie en Bretagne




Das Wasser lebendig um meine Fußknöchel, die Spiegelungen der Sonne wie ewiges Blitzlichtgewitter. Im Hintergrund eine Mole und die Frage: Wer hat sich das ausgedacht? Das Springen über Felsen ist kein Wandern, und gegen den Wind gelehnt, strecke ich die Hand aus und greife nach deiner. Sie gleitet mir durch die Finger als Ahnung. Zusammen hören wir das Meer, wie es die Muscheln, die sich an Felsen festklammern, in einem langsamen Takt wiegt. Wenn ich sterben möchte, dann hier, so gar nicht allein unter Wolken, die sich ehrfürchtig nur bis an die Küstenlinie trauen. An deiner Seite, kurz hinter der blauen Stadt, die sich seit Hunderten von Jahren auf uns freut (Das hat sie mir verraten). Auf zwei, die sich nicht mehr sehen, aber doch immer fühlen können, zwei wie wir.

Tuesday, February 06, 2007

Die Wichtigkeit abschließbarer Türen

Es gibt ja wenige unangenehmere Dinge als eine nicht abschließbare öffentliche Toilette. Bei dem obigen Exemplar dagegen (gesichtet in einem Strandort bei Lagos, Nigeria) funktioniert der Schließmechanismus ganz ausgezeichnet. Keine Beanstandungen. Na gut, die eine oder andere Wand hätte etwas blickdichter ausfallen können.

Sinnvolle Regeln

Endlich mal eine sinnvolle Regel, damit man ungestört am Tresen sein Bier trinken kann. Lagos ist wirklich in jeder Hinsicht eine progressive Stadt.