Sunday, September 30, 2007

Fünf Anfangssätze für fünf Romane über Island

1 Herr Island trat aus seinem Haus in seinen Gemüsegarten, der Himmel war wie jeden Morgen auch heute da, und die Tomaten schienen über Nacht an Röte und Größe gewonnen zu haben, so dass Herr Island den Entschluss fasste: es reicht, es reicht jetzt wirklich.

2 Ich kann nicht mehr rekonstruieren, wer zuerst auf die Idee kam, wahrscheinlich war es Zinke, es könnte aber auch Manuel gewesen sein - Manuels kreative Energien hatten meistens mit dem Verschwinden der Dinge zu tun -, doch heute, am 29. September 2007, und hier, auf einer verstaubten Straße im Süden von Peru, auf der Flucht vor der internationalen Justiz, scheint es mir wichtiger denn je, mich an den Tag zu erinnern, an dem wir geschworen hatten
, Island zu sprengen und für immer zu versenken.

3 Eine Woche nach der Geburt seines Sohnes, wachte Michael aus unruhigen Träumen auf, küßte seine schlafende, schöne Frau auf die Schläfe, schrieb auf ein Post-It, "Fänd ich wirklich besser, wenn wir ihn Leo genannt hätten", und bestieg das erste Flugzeug, das noch freie Plätze hatte, eine Maschine der Icelandair.

4 Ich habe mir zur Lebensaufgabe gemacht, isländische Flora und Fauna auf den Stand vom Erzgebirge zu bringen.

5 Wir prügelten uns jeden Donnerstag Abend ab sieben Uhr auf dem Parkplatz vor dem Hagkaup, die Mädchen mussten immer das meiste einstecken, wurden aber besser mit der Zeit, wir gingen, seit wir vierzehn waren, alle zu demselben Psychiater, Professor Þórðarson, der erotische Beflügelung für Nazi-Frauen empfand und aufgrund eines seltsamen Gendefekts keinen Geruchssinn besaß, wir frühstückten nichts mit Ypsilon im Namen, und an Bjarnis achtzehntem Geburtstag liebten wir uns bisexuell zu acht, die Orgie dauerte sieben Stunden, das musste einfach raus und war uns am nächsten Tag sehr unangenehm, wir hörten Björk und schämten uns schweigend und verkatert.

Wednesday, September 26, 2007

Auf nach Bremen.



Weltwohnen in Bremen.
Lesung im Rahmen des Netzschreiber-Stipendiums.
Donnerstag, den 27. September, 20 Uhr
Stadtbibliothek Bremen
Am Wall 201

Der Eintritt ist frei.

Weitere Informationen hier:
http://www.literaturhaus-bremen.de/site/home.html

Sunday, September 23, 2007

Zlarin



Das“, sagt Ante und zeigt auf eine Fotografie an der Wand, die wirkt, als haette jemand den kleinen Hafen bei einer Antikbootmesse geknipst, „ist Zlarin vor hundert Jahren.“ Ich ueberlege, ob ich ihn bitten soll, mit mir vor die Tuer zu treten, zu eben jener Stelle, wo vor hundert Jahren jemand seinen Hafen verewigte. Dort koennten wir gemeinsam auf den Ausloeser meiner Handykamera druecken und das Foto anschließend neben seinen alten Zwillingsbruder halten. Ante legt den Kopf schief und grinst abwechselnd mich und die Fotografie an, als haette er uns bei einer Verschwoerung ertappt. Die Kirchenglocke mischt sich in mein stummes Selbstgespraech ein: Jemand scheint mit einem Holzloeffel und einem Blech die volle Stunde in die Bucht hinunter zu schlagen. Mit jeden Schlag halte ich es fuer moeglicher, eine unabsichtliche Zeitreise unternommen zu haben. Ante und seine Frau Karmela, faellt mir jetzt auf, sind, von zwei doesenden Katzen einmal abgesehen, die einzigen Lebewesen, die mir hier bislang begegnet sind. Ungeruehrt geht Ante mit meinem Reisepass und einem dicken Gaestebuch ins Wohnzimmer, laesst sich in ein Sofa fallen und schlaegt mit der rechten Hand auf die leere Sitzflaeche neben ihm. „Deutsch“, murmelt er und betrachtet das rote Buechlein, „viele Gaeste. Italien. Frankreich.“ Ich nicke und betrachte die dunkle Schrankwand samt dazugehoeriger Porzellanfiguren, die eindeutig einem anderen Jahrhundert als die Fotografie entstammen. Beim lauten Lesen meines Nachnamens zieht Ante interessiert die Augenbrauen in die Hoehe. „Aus Polen, richtig“, bekraeftige ich und sehe zu, wie eine fremde Handschrift meinen Namen schreibt. Feierlich, als wuerde er mir sein Familienalbum zeigen, schlaegt Ante das Buch zurueck, tippt mit dem Finger auf die Namen anderer deutscher Besucher und erzaehlt bruchstueckhafte Anekdoten. Dr. Breuninger scheint ein Mann mit kugelfoermigen Ausmaßen gewesen zu sein, der am liebsten im Wasser lag, seine Ulla hingegen eine wellengleiche Frau, die sich vor allem für Olivenbaeume und Granataepfel begeisterte. Ante lacht in sich hinein, als koennte er noch ganz andere Geschichten erzaehlen. Ich bemerke die Weintrauben auf dem Tisch und frage, ob es seine seien. Ploetzlich strahlt sein Gesicht; er springt auf, laeuft zur Tuer hinaus und kommt mit einer Weinflasche und zwei Glaesern zurueck. Ich traue mich nicht, das Angebot abzulehnen, obwohl die Nachmittagssonne und mein leerer Magen aehnliches erwarten. Erwartungsvoll schaut Ante mich an. Ich nippe, laechle, sage „sehr gut“ und rechne mir ebenso gute Chancen aus, in sein Buch als guten Geschmack einzugehen. Mit ausladenden Handbewegungen und wenigen Worten beschreibt er mir den Stolz des eigenen Weinanbaus, ruft ploetzlich: „Sarah“ und „njemacka“, lacht, als haette das eine mit dem anderen nicht das geringste zu tun. Ich werde muede von so viel Enthusiasmus, zeige auf meinen Rucksack und auf meinen Bauch. Er schiebt mich immer noch lachend zur Tuer. Auf der Treppe nehme ich Karmela das Bettzeug ab. Sie winkt mich in mein zukuenftiges Schlafzimmer, oeffnet die Fensterlaeden und drueckt meinen Oberkoerper hinaus. Die Sonne haengt wie ein matter Scheinwerfer zwischen den Huegeln und erzeugt lange Schatten. Ein Kutter gleitet durch tuerkise und blaue Flecken in den Hafen. Das Foto koennte auch von hier geschossen worden sein. Am Kai steht ein Hund und schuettelt sich, bevor er zu seinem Herrchen aufs Boot springt. Karmela klopft mir auf die Schulter und geht nach unten.