Tuesday, July 17, 2007

knapp elf jahre her

Heute ist ein besonderer Tag, heute soll das Wasser kommen. Heute morgen zertritt Svensson Ameisen und Spinnen, er fegt die Schlafräume und den Hof, er trinkt den zuckersüßen Kaffee. Svensson ist dünn geworden, er hat zwei Wochen Erbrechen und Durchfall hinter sich, er hat drei Nächte neben der Toilette gelegen. Er trägt jetzt Freundschaftsbänder um die Handgelenke wie alle Europäer in der Fundacao Ajuda, für die Gesundheit, für das Glück. Um elf nehmen die beiden den Pick-Up und fahren in die Stadt. Sie kaufen Trinkwasser, drei Sack Beton und zwei Eisenstangen für die letzten Stufen zum Wasserturm. Sie kaufen Bier und eine Flasche Champagner. Svensson und Felix arbeiten Hand in Hand, sie sägen, zimmern, nageln. Auf den Gleisen hinter der Fundacao Ajuda de Nossa Senhora sitzen die Schienenkinder mit ihren Plastiktüten und Klebstoffbüchsen, im Hof stehen die Hungrigen barfuss Schlange, es gibt Fejuada und Reis, Oi, Gringos sagen sie zu Svensson und Felix. Um halb zwölf sind die Stangen gebogen, vierzehn Metallhaken bis ganz nach oben, den letzten bringen sie gegen zwölf an. Sie überprüfen die Rohre hoch zum Reservoir, sie lassen die Pumpe Probe laufen. Dann steht der Wasserturm, sie haben zwei Monate dafür gebraucht. Der Wasserturm ist ein großes Blechfass auf vier Beinen, in Beton gegossen und neun Meter hoch. Er steht mitten in der Rua do Lixu: gegen den Dreck im Viertel, gegen die Vergiftungen, gegen die Bakterien, gegen das Sterben der Kinder. Felix ist zwei Monate jeden Tag mit dem Pick-Up in die Stadt gefahren und hat mit dem europäischen Geld Beton gekauft, Rohre, Holz, Drahtgitter. Die Leitung verläuft illegal über das Feld zwischen Rua do Lixu und Seraverde, vierhundert Meter Plastikrohre zwanzig Zentimeter unter dem Staub, von den Tagelöhnern in der Dämmerung vergraben, die staatlichen Leitungen nur inoffiziell angezapft, Santos hat die Schlüssel gegen eine freundliche Spende zur Verfügung stellen können. Die Pumpe läuft mit Diesel. Für eine geringe Gebühr, Compadres, hat Santos gesagt, würde ihm und Lula das alles gar nicht auffallen. Alle haben geholfen: David kann schweißen, Svensson kann Beton rühren, Felix kann im Gerüst hängen und die Tagelöhner dirigieren, das Buch in der Hand, "Water-Supply-Systems for Home Farming" von Williams/Steynman, Seite 27 bis 35, einfach ungefähr alles mal drei.

Heute ist ein entscheidender Tag, heute wird Seraverde blau oder rot, heute stehen in ganz Pernambuco Wahlen an. Die Blauen und die Roten haben blaue und rote Trio Eléctricos auf die Plätze der Stadt gestellt, Sattelschlepper mit Bühnen und Boxen, durch die Straßen fahren rote und blaue Volkswagen Käfer mit Megaphonen, sie verkünden ein rotes und ein blaues Fest: heute abend Freibier und Fohor, heute abend Schnaps! Wählt die Blauen! Wählt die Roten! Auch in der Rua do Lixu wird entschieden, es gibt Schnaps und Versprechen gegen Stimmen: wählt ihr uns, meus Amigos, gibt es zwei Sack Beton pro Kopf! Der Bezirkspolizist Santos ist der Kandidat der Roten für die Rua do Lixu, der Arbeiterpartei PT, überall sieht man Bilder mit seinem Schnurrbart, an Wänden, Autos und Eselkarren. Warum ausgerechnet der Polizist?, fragt Svensson und Felix vermutet, es wird an seiner Arbeit liegen, Santos kennt jeder, alle haben ihn schon bezahlt. Gegen Nachmittag ist Santos noch einmal durch die Straße flaniert, Lula heißt Lula nach unserem nächsten Präsidenten, hat er gesagt, Lula da Silva, merkt euch diesen Namen! Der weiße Hund trägt ein rotes Halstuch. Wählst du mich, Compadre, lasse ich deine Hütte decken, Compadre, mit den guten Ziegeln! Blaue und rote Kinder spielen Krieg, ihre Väter trinken Cachaza. Wetten, Svensson?, fragt Felix, ich setze auf die Roten. Gegen Mittag schlachtet Svensson zwei Hühner, das gleichmäßige Schleudern und präzise Kopf-Ab mit dem kleinen Beil hat er von David gelernt, zur Feier des Tages gibt es Knoblauchhuhn mit Koriander und Piment. Um vier holen die Mütter die Kinder, um fünf werden die schweren Eisentore geschlossen, der Padre spricht sein Abendgebet, er öffnet eine Flasche Antarctica und verteilt die Gläser. Alle sitzen um den runden Tisch im Hof, der Padre, David, Ailton, Lucinda, Cris, Felix, Svensson, Ivan. Urinating is good for you, sagt der Padre nach dem dritten Bier. Heute ist ein besonderer Tag, heute spielt das Radio Girl from Mars, heute wehen Merengue und Fohor von den Trio Eléctricos herüber, heute klopft es mitten im Beten und Zuprosten leise an die Stahltür der Fundacao Ajuda de Nossa Senhora. David öffnet und im Staub der Rua do Lixu steht eine kleine blonde Frau mit Rucksack und ohne Schuhe. Ich bin Tuuli, sagt sie, ich bin freiwillig hier.

Thursday, July 05, 2007

tel aviv

befremdung durch das verhalten eines anderen menschen (eine dunkelgelockte junge frau in einem gelben trägerkleid weint kompromißlos in ihr telefon) an einem, mir bis gerade eben fremden ort (garten des cafés sonya gaetzel shapira), wo wir uns jeweils alleine und in keiner weise zueinander verhalten haben, und dann klingelt ihr telefon (eine schöne frau, die weint, auflegt und die hand über die augen legt) und ich verstehe kein wort.

andrew ist engländer, hat ein semester philosophie studiert und lebt seit drei monaten in tel aviv; er bestätigt sich das regelmäßig in seinem blog, die besucherzahlen steigen kontinuierlich, eine australische zeitung habe ihn neulich kontaktiert, ob er sich eine “richtige” (universeller code: das aufhängen der anführungsstriche mit zeige- und mittelfingern in der luft) kolumne vorstellen könne (gelacht habe er, sich aber auch geschmeichelt gefühlt). “Every morning”, sagt er, “I give myself a new task for the day - it’s like an urgent question in need for an answer - I blog the answer!” (”talk to a local about his joys and worries without mentioning your own”).

zwei jungs kaufen in einem supermarkt eine kartoffel und eine packung strohhalme. es ist spät in der nacht.

alleine reisen: eine ständige auseinandersetzung mit dem eigenen verhalten und mit dem hinterfragen des eigenen verhaltens und mit dem beobachten des hinterfragens des eigenen verhaltens (alleine an einem ort sitzen, an dem nicht alleine sitzen wesentlich angenehmer und angebrachter wäre, unter bäumen, auch palmen, in einem kleinen hinterhof, in dem eine schöne weinende frau aufsteht, um zu zahlen).

“go to a cultural event and afterwards meet someone involved.”

mit jemandem unaufälligen unterwegs sein (mit mir).

nur von teelichtern beleuchtet und vom weichen hebräisch vertont, gärten, hinterhöfe, frisuren. ich bin ein auf spiel konzentriertes kleinkind (beobachte, notiere, trinke, esse - hauptsache: zu tun haben, denn hat man zu tun, stört man weniger), denn spielt man, hindert man seine körperhaltung daran, tatenlos auszusehen.

in yafo am strand: eine junge nonne und ein junger soldat waten durch das seichte meer, sie schürzt ihr schwarzes Gewand über die Knie hoch, er trägt eine kurze olivgrüne hose (nicht alles resultiert aus einer laune, vieles ist schlicht und einfach bullshit).

der alleinreisende (ich) ist abends auffälliger, mißt einem kurzen gespräch mit einer kellnerin eine wahnsinnsbedeutung bei.

“eat something typical for israel, ask what it is, teach yourself how to prepare it.”

mein beitrag zu den legenden über das schreiben: schreiben/notieren/recherchieren führt unterwegs dazu, dass man sich selbst in geringerem umfang als ausgangssituation fürs nachdenken nimmt, dafür mehr die anderen bei ihrem nachdenken und einander beobachten und miteinander magisch kommunizieren kommentiert; eine art dialog entsteht, man führt ihn mit den entworfenen figuren (dem englischen blogschreiber), die figuren kratzen sich, harren konflikte aus, man bezieht sich dazu (zu ihren problemen) und schlägt so die zeit erfolgreicher tot als mit schüchternheit.

alisah beginnt ihren nächsten satz mit: “das klingt jetzt vielleicht etwas faschistisch, aber”, und es folgt eine kleine patriotische einlage zum land, zum kampf, zur abgrenzung vom islam usw. auf alisahs handgelenk - ein rotes blumentatoo (schlecht auszumachen im dämmrigen licht dieser schönen bar namens ginzburg).

leise sprechende sprecher sprechen sich vor einer kulisse aus bauhaus-gebäuden (helles rosa, beige) aus, eine katze kitzelt die tischbeine, schokoladensouffle mit vanilleeis (wie das schmeckt, heiß und kalt!), auf autowaschen wird nicht wert gelegt, in den fenster klemmen kleine blauweiße fahnen, und auch heute keine waffe in meiner tasche, ach tel aviv, shht, ein mittelmäßiges fernseh-drama im hotelzimmer, eine schale mit früchten, auch getrockneten, ganz in der nähe, und alisah mag die achtziger-musik.

“diskuss the political situation in middle east with somebody you meet for the second time, but then direct the conversation to something completely different, soccer or sunburn or being alone for example.”

Wednesday, July 04, 2007

Ausgezeichnetes Weltwohnen.



Mehr Informationen unter:

http://www.literaturhaus-bremen.de