Thursday, March 26, 2009

Tansanische Delikatessen (2)

Afrikas Antwort auf die Bionade

Saturday, March 21, 2009

Sydney (Weltrauchen, Teil 3)



Wenn du irgendwann mit dem Rauchen aufhören willst, sagt der in Singapur zugestiegene Helge kurz vor der Landung, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt. Helge: Anfang 40, wohnhaft in Hamburg, gebürtiger Ostberliner, Ex-Punk, Ex-Raucher, Banker. Mit jetzt meint Helge Australien. Ich stelle den Touchscreen meines Bordunterhaltungssystems auf SkyView und verfolge live den Landeanflug des Flugzeugs, in dem ich sitze. Eine in die Heckflosse des Airbus A380 eingebaute Kamera machts möglich. Bis auf das regelmäßige Aufblitzen des Kollisionswarnlichts ist auf dem nachtschwarzen Bildschirm noch nicht viel zu sehen. SkyView ist das Geilste! kommentiert Helge. Wenn schon das Schiff als Heterotopie par excellence gilt, dann muss der Airbus A380 erst recht eine sein, denke ich. Das denke ich aber auch nur, weil ausnahmslos jeder, dem ich vor meiner Abreise erzählt habe, dass ich die erste Nacht in einem Flughafenhotel verbringen würde, sofort Heterotopie, Heterotopie! gekreischt hat. Überhaupt, sagt Helge, hat Qantas, was das Entertainment betrifft, inzwischen aufgeholt. Auf dem Bildschirm taucht in der Ferne ein Lichtermeer auf, es muss sich um Sydney handeln. Insgeheim ärgere ich mich über Qantas: Anstatt zu lesen habe ich nun Platoon, Milk, Twilight, Quantum of Solace sowie jeweils einige Folgen von The Simpsons, Little Britain, Little Britain U.S.A. und Grey's Anatomy gesehen.




Bei der Einreise nach Australien erklärt man feierlich, nicht mehr als 250 Zigaretten im Gepäck zu haben. Die Stangen im Duty Free Shop am Flughafen Sydney haben den entsprechenden Umfang: 10 Schachteln à 25 Stück. Auch wenn ich keine Big Packs mag, kaufe ich Camel Lights. Schon auf dem Karton der Stange ist ein lungenkrankes, sterbendes Mädchen abgebildet, dem eine gutherzige Krankenschwester zärtlich die Beatmungsmaske ins Gesicht drückt. Den Zollbeamten mache ich pflichtbewusst auf die angerissene Schachtel rote Gauloises in meiner Jackentasche aufmerksam. Er interessiert sich vielmehr für Äpfel oder Bananen, die ich in meinem Koffer versteckt haben könnte. Kaugummis sind okay.

Sonne macht zwar dumm, dafür macht Sonne frei. Langsam habe ich mich daran gewöhnt, dass man im März nicht frieren muss, sondern alles eine Frage des richtigen Standpunkts ist. Sydney ist eindeutig ein richtiger Standpunkt. Mein Problem dabei ist ein ästhetisches. Die Stadt kann nichts dafür, im Gegenteil, Sydney ist ein Traum: Metropole am Meer, großzügige Architektur, internationale Bevölkerung. Und das alles, scheint es, ohne etwas behaupten oder ständig über sich selbst sprechen zu müssen wie Paris oder Berlin. Das ästhetische Problem bin vielmehr ich. Nachts träume ich von Workouts im Gym und wie es wohl so ist, wenn man sich auch in kurzen Hosen oder in Tank Tops einfach wohlfühlt.

Australien ist eine Sportdiktatur. Im Fernsehen laufen Abnehmshows, in denen gar nicht so fette Menschen von Victoria Beckham-Klonen vorgeführt werden. In den sogenannten Hotels, also den Bars, werden gleichzeitig fünf verschiedene Sportübertragungen auf zehn verschiedenen Bildschirmen gezeigt. An jeder Straßenecke gibt es einen Gym. Überall stößt man auf Bilder der makellosen australischen Schwimmerkörper. Klickt man sich im Internet durch die Personals Sites, so muss man feststellen, dass clean und healthy die beliebtesten Adjektive für Selbstbeschreibungen sind. Grüß Gott, ich bin sauber und gesund. Mit diesen beiden Wörtern hat, glaube ich, Edith Klinger ihre armen Katzerln im ORF zu Markte getragen. Kein Wunder, dass ich trotz der strengen Rauchverbote nicht weniger rauche.

Das mit der sozialen Anbahnung beim Rauchen funktioniert hier nicht. Was zunächst daran liegt, dass kein Mensch raucht. Im Chauvel-Kino in Paddington, ein wunderbares Arthouse-Kino übrigens, stehe ich allein auf dem großen Raucherbalkon, während sich die Menschen im Foyer dicht aneinander drängen. Von Berliner Kinos mit Raucherbalkon, etwa dem Sputnik, bin ich anderes gewöhnt. Darüber hinaus ist es fraglich, ob man die Menschen, die ich in Sydney beim Rauchen kennen lerne, auch wirklich kennen lernen möchte. Im Raucherbereich vor einer Bar in der Oxford Street setzt sich Pete neben mich und erzählt mir nach kurzer Zeit, dass seine deutsche Frau und seine halbdeutsche Tochter so gemein seien und ihn verhauen würden. Pete: Mitte 50, verhärmtes Gesicht, kleinwüchsig, lange Haare, braune Sandalen, Drehtabak, im Übrigen gay parent. Dass man aufgrund der stupiden Alkoholgesetze die Drinks nicht mit ins Freie nehmen kann, hat auch seine guten Seiten. Ich hole mir noch ein Bier, sage ich zu Pete, klopfe ihm aufmunternd auf die Schulter und verschwinde in der Bar.

Letztlich braucht man in Sydney keine Raucherbereiche, um soziale Anbahnung zu betreiben. Nicht einmal ich. Dafür liebe ich diese Stadt. Der Nichtraucherstadt Sydney verdanke ich auch die Einsicht in eine Technik, die ich bislang immer nur unbewusst praktiziert habe: Rauchen als Strategie der sozialen Vermeidung. Ich gehe kurz eine rauchen, sage ich zu Peggy, als mir diese im Rose, Shamrock + Thistle Hotel zu aufdringlich wird. Peggy: Ende 20, makellos geschminkt, blonder Kurzhaarschnitt, Hotpants, Gin Tonic in der Hand, lange in Thailand gelebt, im Gegensatz zur ihrer malenden Schwester keinerlei künstlerische Ambitionen, Controllerin aus Überzeugung. Komm zurück, wenn du magst, ruft Peggy mir nach.





Tuesday, March 10, 2009

President's Day

Der Frühling steht seit ein paar Tagen an der nächsten Straßenecke, in den spärlichen Platanen warten ein paar Vögel auf die Blätter, überall wollen die Leute spazieren, alle sind auf den Beinen. Also fahre ich nachmittags raus, um mir die Nachbarschaft zeigen zu lassen: Brooklyn Heights. Mein Übersetzer und seine Frau wohnen hier samt Hund Alvy (Alvy ist genauso groß wie ein Croissant). Die Linie F ist rappelvoll und rattert, die Leute sprechen fast ausschließlich etwas zu bunt und etwas zu schnell, mein Verstehen ist zu sieben Achtel erratener Unfug (neulich gelesen, dass in New York nahezu alle Sprachen der Welt gesprochen werden, auch solche, die in ihrem Original-Habitat längt verendet und vertrocknet sind). In solch randvollen Zügen und Straßen wird mir deshalb jeder achtlos und leicht zu laut hingeworfene Brocken Deutsch zu einem irritierenden Merksatz. Auf dem Hinweg in der Bahn aufgeschnappt:
"Hühner werden heutzutage nur noch für die Brust gezüchtet."/"Pretty Woman war schon während der Besatzungsjahre immer der Lieblingsfilm meine Vaters."/"Lass uns von Morgen schweigen, lass uns hier sein und jetzt!"

In diesem Sinne: Carroll Gardens ist ein schöner Flecken Erde, Alvy kommt mit, Brooklyn Heights leuchtet ebenfalls und ist dazu noch literaturhistorisch wertvoll, meine Güte, an jedem zweiten Gebäude hängt eine Zitatplakette. In einem Gebrauchtbuchladenschaufenster steht Max Brods Über Franz Kafka neben ein paar Edgar-Wallace-Büchern. Wir spazieren durch die Gegend, Alvy springt (ganz Croissant) um uns herum, während wir Kaffee trinken und das erste Vanilleeis des Jahres essen. Die Sonne scheint, zur Feier des Tages bellt Alvy mutig Thomas Wolfes ehemalige Mietwohnung an (fast singt er), dann pinkelt er W.H. Audens Haus ans Schienbein. Auf der Promenade und vor der Skyline wird ein fremdsprachiges und sehr langsames Musikvideo gedreht. Die Menschen spazieren in Dreierreihen, Babys jubeln, Croissant-Alvy bringt den Sänger aus dem Takt und Konzept. Aufgeschnappte deutsche Merksätze auf der Promenade:
"Man muss einmal in einem Münchner Hotel gearbeitet haben."/"Früher sind wir einmal mehr gewesen. Und besser."/"Das Wetter macht grundsätzlich, was ich will."

Apropos Wetter: morgen ist President's Day, New York trägt Obama-T-Shirts, es sollte eigentlich einiges besser werden. Ist es aber nicht. Die Schilder auf dem Rückweg: LOST THE LEASE! und GOING OUT OF BUSINESS! und EVERYTHING MUST GO! und NOTHING HELD BACK! Zur Rezession muss also auch noch etwas gesagt werden. Alle sprechen davon, man sieht es im Stadtbild, ausgerechnet zum Frühlingsanfang nagelt sich New York verstärkt die Schaufenster zu. Plötzlich erinnern sich die Dreissigjährigen an das letzte Jahrhundert, plötzlich schauen alle verstohlen ins Portemonnaie. Es werde weniger reserviert, sagt man, es werde weniger geliefert, es werde weniger in Hotels übernachtet, aber man lese wieder Joe Mitchell. Es wird früher getrunken, weil früher trinken billiger trinken bedeutet, es gibt "Recession-Happy-Hours". Das Wort ist allgegenwärtig wie ein Werbeclaim, für jeden Ausverkauf muss die Wirtschaftslage herhalten, sogar für Anti-Rauch-Kampagnen ("remember: lungcancer is recession-proof"). Schließlich an der Kreuzung Bleecker und LaGuardia der letzte aufgeschnappte Merksatz für heute:
"New York ist ein Gestrüpp und wir sind eine marodierende Horde."