Thursday, November 29, 2007

Synchronie I

im Flur des Opernhauses
liegt in Halmen ein Mädchen
es hatte grad Lucia gesehn
die tänzelnd durch Zweig
hatte Lucia gerufen, erkannt
(ein Flug-Organ)
an einem winzigen Mal
das aus der Nähe betrachtet
regelrecht flammte
überm Kragen des Hemds

überdies war Schnee gefalln
durch und durch russische Nacht
Teeschalen klirrten sopran
eine Nuss sprang
wie ich sehe
ist er jetzt im Verschwinden begriffen
trotzdem es noch nachschneit

es hatte grad Lucia gesehn, den Flügel
wohl kurz abgelegt, ist schon nicht mehr

Wednesday, November 28, 2007

der Stiel des Orangenbaums

schlingt sich kokett aus meinem Tisch
leuchtet weithin
deine schöne Gestalt
wie du so in deinem Garten rankst
und dich windest und verschwiegen bist

dabei fallen die neon-gelben Fischlein
natürlich aus dem Wasser-Becken raus
reflektieren natürlich dein streng
geflochtenes, kühles Licht
kracht jetzt in die blaue Liane

Korallen Gräser die Rotalgen hier
sind von Mordsschlangen Rochen
Krokodilen bewohnt, der hässliche Kopf
ist ein Kugelfisch, kein Laut
ist dein eigenes zaghaftes Schlagen
dein subversives Unterwassersein

Thursday, November 22, 2007

Jessica in Venedig.











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Im Rahmen der ersten Weltwohnen-Lesung fand Ende September ein Schreib-Workshop mit Schülern statt. Im Wallsaal der alten Stadtbibliothek haben Schüler Reiseberichte verfasst. Einige der tollen Ergebnisse kann man nachlesen unter www.workshop-literatur.de. Einen dieser Texte gibt es jetzt auch hier. Wir reisen nach Venedig zusammen mit Jessica:

„Mama, wie lange dauert es noch?“ Diese Frage hören wir jetzt schon zum vierten Mal. Wir sind um neun Uhr in Tignale, unserem Ferienort, losgefahren und nun schon seit knapp zwei Stunden unterwegs. Es ist etwas ganz besonderes. Endlich fahre ich in die Stadt, in die ich seit Cornelia Funke´s „Herr der Diebe“ schon immer mal wollte: Venedig. Noch eine halbe Stunde. Ich überlege wie es dort wohl sein wird. Sind dort wirklich so viele Tauben wie die Leute immer sagen?
11.45 Uhr, Venedig. Jetzt sind wir endlich da. Die Sonne knallt mir auf den Rücken und meine Schwester steht genauso erstaunt wie ich neben mir. All diese kleinen Gassen und Brücken. Trotz zuvor gekauftem Stadtplan haben wir keine Ahnung, wie wir zum Markusplatz kommen. Mein Vater, der sowieso schon genervt ist, weil er sein Auto unabgeschlossen in einem viel zu teuren Parkhaus abstellen musste, trottet mürrisch hinter uns her. Ich wünschte, ich hätte mehr als nur vier Stunden Zeit. All diese schönen Kirchen, Museen und Plätze. Céline und ich schaffen es, uns kurz von Mama und Papa abzusetzen und besichtigen ganz alleine eine Kirche. Da wir beide nur Tops anhaben, müssen wir uns Tücher an der Kasse leihen und überziehen. Den Sinn dahinter haben wir zwar nicht ganz verstanden, aber Hauptsache wir können uns die Kirche angucken. Gold und Stuck soweit das Auge reicht. Die Chiesa Santa Maria Formosa ist nicht besonders groß aber wunderschön. Dafür, dass Venedig so überfüllt ist, ist „Santa Maria“ erstaunlich leer. Gerade mal zehn Besucher sind hier. Ein Mann fällt mir und meiner Schwester sofort auf. Er trägt ziemlich zerschlissene Kleidung und steht ganz alleine vor einem riesigen Berg aus Kerzen. Da wir beide kein Italienisch können, verstehen wir nicht was er sagt, aber wir verstehen, dass es für ihn sehr wichtig ist. In seiner linken Hand hält er das Bild einer jungen Frau, die nicht älter als 30 sein kann. Wir wissen nicht warum, aber so schön und atemberaubend die Chiesa Santa Maria auch ist, der Mann mit dem Photo geht uns als Einziges nicht mehr aus dem Kopf.

Friday, November 09, 2007

Lagos oder der unglücklichste Ankommende

Denke ich an Lagos, denke ich zuerst an das Unglück des Ankommens in Lagos. Das Unglück des Ankommens in Lagos beginnt im Prinzip schon beim Beantragen des Visums für die Reise nach Lagos (siehe Eintrag unten), vertieft sich aber noch im Moment des Eintreffens am Flughafen. Kenner behaupten, der Flughafen von Lagos ist noch schlimmer als die Stadt Lagos, was jedoch andere Kenner vehement bestreiten. Zu diesen anderen Kennern zähle auch ich: der Flughafen von Lagos ist zwar weiterhin eine Unverschämtheit, hat sich aber in vielen Aspekten verbessert – zum Beispiel wird man nicht mehr direkt nach dem Verlassen des Terminals von Polizisten und Soldaten bedrängt und bedroht, und auch die früher gängige Praxis des Flughafenpersonals, Gepäckstücke direkt aus dem Bauch des Flugzeugs zu stehlen, hat zuletzt abgenommen.

Seit diesen Verbesserungen ist das Eintreffen am Flughafen Lagos zwar immer noch ein Unglück, jedoch bei weitem nicht so ein Unglück wie das Hineinfahren nach Lagos durch seine ewigen, chronisch verstopften Vororte und über seine riesigen, chronisch verstopften Brücken, auf denen ebensoviele schrottreife Kleinbusse wie Obdachlose und ambulante Händler verkehren. Wobei auch dieses Hineinfahren nach Lagos vom Flughafen aus am Abend (denn alle internationalen Flüge kommen abends an) kein Vergleich ist zum Unglück des Hineinfahrens aus derselben Richtung am morgen oder mittag, oder gar der Fahrt in der umgekehrten Richtung am späten Nachmittag. Denkt mam beim Hineinfahren nach Lagos am Abend noch, die Mutter aller Staus erlebt zu haben, merkt man zu einer der echten Stoßzeiten erst, warum der Lagosianer zwischen „go-slow“ und „no-go“ unterscheidet.

Das Hineinfahren nach Lagos lässt dem Ankommenden viel Zeit zum Nachdenken, und je nach Mentalität können dies Gedanken sein wie „Warum bin ich hier“ oder etwa „Warum habe ich keinen ordentlichen Beruf gelernt“. Landeserfahrene werden ihre Gedanken jedoch auf den bevorstehenden Hotelaufenthalt richten, denn das Unglück des Hineinfahrens nach Lagos ist eigentlich eine Lappalie gegen das Unglück des Ankommens in einem Hotel in Lagos. Sollte der Ankommende der Annahme unterliegen, dass Übernachtungspreise von 300 Dollar eine gewisse Zimmer- und Servicequalität garantieren, wird er eine klassische nigerianische Lektion lernen: der einzige Grund, warum die Dinge hier kosten, was sie kosten, ist dass es genügend Dumme gibt, die jeden Preis zahlen.

Die Dinge – das sind alle Güter und Dienstleistungen, die sogenannten westlichen Standards genügen sollen, also Hotelzimmer, Mietwagen, internationale Lebensmittel und Zeitungen. Die Dummen – das sind die Ölkonzerne und anderen multinationalen Großunternehmen, die hier exzellente Geschäfte machen und ihre Auslandsmitarbeitern daher problemlos zu Höchstpreisen einquartieren können. Und damit alles andere in den Sog hineinziehen.

Das ist das eigentlich belastende an Lagos: nicht die vermeintlichen Gefahren, die laut den Erzählungen anderer hinter jeder Ecke lauern; nicht der urbane Moloch, den man durch die Autoscheiben hindurch nur erahnen kann; nicht (allein) der Witz an Gegenleistung, die man für sein Geld bekommt; sondern die Tatsache, dass alle Ausländer um einen herum fortwährend zu erkennen geben, dass das Dasein in Lagos eine Zumutung ist und nur unter höchsten finanziellen Zuwendungen ertragen werden kann. Man verbringt die Abende grundsätzlich in den Hotelanlagen zusammen mit den anderen Ausländern, die ebenfalls die Abende grundsätzlich nur dort verbringen. Und beklagt gemeinsam, wie furchtbar alles ist.

Manchmal denke ich, so ähnlich muss es in Bagdad sein: die Korrespondenten sitzen ab dem späten Vormittag mit einem Heineken an der Bar und sinnieren über die Welt außerhalb der Gitterstäbe, die sie nur aus den geringfügisten Stippvisiten kennen. Nur dass die Gefahr in Bagdad eine reale, in Lagos dagegen eine behauptete ist: hätte ich nicht im Reiseführer gelesen, dass es sich um eine der gefährlichsten Städte handelt (was allerdings durch keine Statistik belegt ist; was wiederum natürlich auch nichts heißen muss), hätte ich keinen Anhaltspunkt, mich unsicher zu fühlen. Die Entführungen und Überfälle, von denen man so häufig liest, finden meist in anderen Landesteilen statt, insbesondere den ölreichen Delta-Staaten. In Lagos werden zwar jährlich mehrere hundert Generatoren geklaut, mehrere tausend Autos zu Schrott gefahren und Abermillionen Dollar abgezwackt und veruntreut, aber die Gewaltkriminalität richtet sich selten gegen Ausländer. Jedenfalls kennt auch nach mehrmaligem Nachfragen keiner jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt – ganz im Gegensatz zu Städten wie Johannesburg, wo es niemanden zu geben scheint, der noch nicht Opfer einer Straftat wurde.

Aber die Perzeption alleine genügt natürlich, um die Menschen in den Häusern zu halten. Ein Geschäftspartner sagt mir, es sei schwierig, einen „Internationalen“ zu finden, der bereit ist, in Lagos für weniger als 100.000 Euro zu arbeiten, wohlgemerkt netto und nach Abzug aller Ausgaben vor Ort, inklusive Unterkunft, Hauspersonal, Dienstwagen, allerlei Clubmitgliedschaften sowie ordentlicher Spesenpauschale. Drei Jahre Lagos und dann das eigene Haus anzahlen, so die Faustformel. Und doch finden sich interessanterweise gar nicht so wenige Leute, die auf Dauer hier bleiben. Die jahrelang werktags nur zwischen Büro, Tennisplatz und Compound zirkulieren, wochenends segeln oder golfen gehen und einmal im Jahr nach Hause fliegen. Sogar deutsches Fernsehen kann man irgendwie empfangen.

Doch die Ausländer sind nicht die einzigen, die in Lagos richtig viel Geld an den Start schicken. Das ist vielleicht das bemerkenswerteste im Vergleich zu anderen afrikanischen Städten: die Vielzahl sehr gut situierter Einheimischer, die sich ebenso von der Realität abkoppeln wie die Expatriates. Einer dieser Geschäftsleute spricht mich morgens auf der Straße vor dem Hotelkomplex an, nachdem er gesehen hat, wie ich mir bei einem Stand ein Brot und eine Flasche Wasser gekauft habe. Er fragt: nur so aus Neugier, warum sind Sie darauf angewiesen, Ihr Brot auf der Straße zu kaufen? Als ich antworte, dass ich morgens nicht so viel esse, dass es sich lohnen würde, für 25 Dollar das Hotelbuffet zu buchen, macht er allen Ernstes ein betretenes Gesicht und sagt: oh, I see – very sorry for you.

Das ganze Prinzip Lagos scheint daraus ausgelegt zu sein, dass die Menschen in den Compounds und Hotelkomplexen nie das normale Stadtgebiet betreten. Jedenfalls gibt es selbst in den besseren Gegenden von Lagos fast keine Bürgersteige, auf denen man sie durchqueren könnte. Gibt es doch mal welche, zeichnen sie sich durch äußerst hohe Bordsteinkanten aus, damit die zigtausenden Mopedfahrer nicht auf die Idee kommen, mal locker über den Bürgersteig abzukürzen (was sie allerdings trotzdem tun). Die positive Kehrseite dieser Tatsache ist, dass man abgesehen von Ruß und Staub weitgehend unbehelligt durch die Straßen laufen kann, weil sich die Bettler, Händler und Kleinkriminelle völlig auf die im Stau stehenden Autofahrer konzentrieren. Insofern ist das Laufen durch Lagos in der Praxis wesentlich angenehmer als das Laufen durch die meisten anderen afrikanischen Städte – bis auf das latente Gefühl, dass man etwas tut, was man nicht tun sollte.

Wenn aber das Ankommen in Lagos in der Regel ein Unglück ist und das Dasein in Lagos eine Zumutung, so ist die Abreise aus Lagos überhaupt erst die eigentliche Herausforderung. Da alle internationalen Flüge in den Nachtstunden abheben, wird der Abreisende etwas verwundert von seiner Fluglinie erfahren, dass die Check-in-Schalter schon um 21.00 schließen. Hintergrund dieser natürlich falschen Information ist, dass niemand auf die Idee kommen soll, sich erst kurz vor dem Flug auf den Weg zu machen. Die 30 Kilometer aus den besseren Gegenden von Lagos bis zum Flughafen können nämlich je nach Verkehrslage bis zu zwei Stunden dauern, an guten Tagen jedoch nur 40 Minuten. Ist der Abreisende dann entweder viel zu früh oder total gestresst am Flughafen angekommen, wird er feststellen, dass vor der Erlaubnis zur Ausreise eine Vielzahl von Formularen, Kofferdurchsuchungen und Demütigungen (sind das Ihre Socken?) steht. Besonderer Augenmerk liegt dabei auf der Frage, ob der Ausreisende nicht etwa verbotenerweise Lokalwährung oder antike Fundstücke außer Landes bringen möchte – beides ist bekanntlich im Ausland äußerst gefragt.

Hat der Ausreisende diese Hürden überwunden, steht ihm die eigentliche Prüfung jedoch erst noch bevor. In der sogenannten Business Class Lounge seiner Fluglinie wird er sich gedanklich auf die Heimreise einstellen können – gemeinsam mit seinen zahlreichen Mitreisenden, die das Ende der Zumutung Lagos mit den bereitgestellten Wodka- und Whiskeyflaschen im Selbstausschank begießen. Gegen 22 Uhr fangen die ersten an, das Personal anzupöbeln. Gegen 23 Uhr lädt die Fluglinie zum Boarding ein. Einige Passagiere sind so betrunken, dass man sie in anderen Gefilden wohl eher nicht an Bord gelassen hätte – aber in Lagos möchte man niemanden zurücklassen, daher zeigt die Crew ungewohnten Langmut. Gegen Mitternacht setzt sich der Flieger in Bewegung. Einige singen noch, andere haben schon Leberkrämpfe. Zum Glück haben alle Härten irgendwann ein Ende.

Monday, November 05, 2007

Ambrosi (Krakau - Georgien)

Ambrosi kocht seine Frühstückseier in der Zeit zwischen spätem Morgen und frühem Nachmittag, meist sind es zwei oder drei, in einem kleinen Edelstahltopf. Wenn sie fertig sind, trägt er sie in dem Topf aus der Küche in sein Zimmer. Dabei klackern die Eier aneinander und an die Topfwand. Ambrosi strahlt eine Art konsequenter, jedoch nicht gewollter Einsamkeit aus, dass ich es kaum über mich bringe, ihn anzusprechen.

Im Englischen verwechselt er yesterday mit tomorrow.

Do you will go to cinema yesterday?

Und so kommt jede Begegnung, schon als Möglichkeit, immer zu spät. Die Gegenwart wird übersprungen.

Do you was in town tomorrow?

Manchmal sitzen wir alle bei Wodka zusammen. Dann löst und lähmt uns Zubrówka die Zunge (ja, gleichzeitig). Unser Sprechen fällt durcheinander; auf dem Wellenkamm der Sätze schwimmt (wie Gischt), Sehnsucht. Alles scheint möglich (aber nur in einem extra Raum im Raum, in einem Jokerraum, an den man zufällig zur richtigen Zeit aus Versehen mit dem Kopf stößt, dann öffnet er sich). Gleichzeitig ein loses Schnattern, ein Einsammeln von Zeitvertreib und oft versteht man auch schon rein akustisch nicht, worum es überhaupt geht, aber das macht gerade deshalb nichts.

Seine Weisheit könne man nicht in eine andere Sprache übersetzen, hat Mirek gesagt. Und ich hab ihn dann nachts halb vier noch angerufen, um ihm zu sagen, dass wir ja alle allein sind jetzt, in unseren jeweiligen Räumen.