Friday, June 20, 2008

Heimwehtourist.


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Der Stadtplan deutet an: Hausnummer 22 Ecke Kirschallee, Hausnummer 2 Ecke Menzelstraße. Willy Cohn hat also direkt gegenüber gewohnt, Hausnummer 17. Kann man Nachbarschaft dazu sagen? Gibt es ein Wort fürs Gegenüberwohnen? Irgendwann sind beide umgezogen. Willy Cohn in die Opitzstraße, Lauterbachs vom Haus mit der Nummer 2 ins Haus mit der Nummer 20.



Eine kleinere Wohnung, die Söhne waren aus dem Haus, lebten in Thorn und Berlin, der Vater im Zwangsruhestand. Das Geld wurde knapp, die Photos aus der Wohnung in der Wölflstraße 20 zeigen viel zu große Möbel auf viel zu engem Raum. Toni erinnert sich nur an die Wohnung in der Wölflstraße 2. Sie sagt: „Eine sehr geräumige Wohnung mit großem Balkon. Es muss ein Eckhaus sein, aus rotem Backstein. Steht da überhaupt noch ein Haus? Es ist doch im Süden.“ Es steht noch. Hans Poelzig hat es entworfen. Die linke Pocztowa hat sich von zwei Häusern nicht getrennt, hat sie aufgehoben: Hausnummern 2 und 20, ausgerechnet. Dazwischen zieht sich heute ein Plattenbau die Straße entlang. Die rechte Pocztowa hingegen hat mehr aufgehoben, 15, 17, 19, alle noch da. Obwohl die Russen von Süden aus in die Stadt kamen und am Reichspräsidentenplatz ins Stocken gerieten. Der Reichspräsidentenplatz, auf dem Willy Cohn nach Spaziergängen zum Ohlauufer Verschnaufpausen einlegte, sich auf den Parkbänken ausruhte, bis man Schilder anbrachte: Für Juden verboten. Bis er in die Opitzstraße zog. Wann aber sind Lauterbachs von der 2 in die 20 gezogen? Toni sagt: „Das weiß ich nicht. Ich war doch schon längst in Palästina.“ Im Brief von Amandus an die Universität von 1937 steht noch Wölflstraße 2, im Adressbuch Breslaus von 1941 dann Wölflstraße 20. Genau wie auf der Rückseite des Photos, das im Hintergrund das Barockgebäude des Oberbergamtes zeigt.



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Andere Photos zeigen groß gewachsene Söhne lächelnd auf der Kirschallee. Dort, im Wasserturm, der heute ein Edelrestaurant beherbergt, gab es schon damals ein Aussichtslokal mit Blick über die Stadt. So steht es im Woerl Reisehandbuch Breslau von 1926. Besonderheit: Touristen fuhren im elektrischen Aufzug nach oben.


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Ein paar Kilometer südwärts, am Ende der Kaiser-Wilhelm-Straße, das Gebäude der Schlesischen Funkstunde. Geburt des Hörspiels unter Friedrich Bischoff. „Hallo: Hier Welle Erdball!“



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In der Pocztowa spielen auch heute noch Kinder, warum auch nicht? Abgesehen vom fehlenden Erker am Haus mit der Nummer 20, stimmen Fenster, Stockwerke und Eingangstür genau mit dem Haus auf dem Photo überein. Ist das jetzt beruhigend? Ist das überhaupt wichtig? Gibt es einen Grund für Recherchetourismus? Ich höre tief in mich hinein.

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