Thursday, October 09, 2008

Cagliari




Pierfranco läuft zum Geländer und wieder zurück, er streckt die Arme in die Höhe und ruft etwas auf Italienisch, dann versucht er, mir einen Pfirsich in den Mund zu stecken. „Die sind gut“, sagt er, „das sind meine.“ Er wirft mir den Pfirsich zu, den Schmutz reibe ich unter dem Tisch unauffällig an meinem Rock ab. Er beobachtet mich, während ich hinein beiße, nickt mir zu, als ich beginne zu kauen. Ich lächle mit vollem Mund und komme mir bescheuert dabei vor.
Als sei ihm bei meinem Anblick plötzlich etwas eingefallen, rennt Pierfranco von der Dachterrasse in die Küche. Kurz darauf kommt er mit einer Karaffe Eiskaffee und zwei Schnapsgläsern zurück. „Trink“, sagt er, „so guten Kaffee bekommst du nirgendwo.“ Nachdem er auch sich selbst eingeschenkt hat, läuft er wieder hinein, holt kühle Limonade und Kekse. Schließlich sitzt er mir gegenüber. Seine Beine zucken unter dem Tisch. „Ein Paradies, nicht wahr?“ Er zeigt auf die Pflanzen am Geländer, die Sofakissen an der Wand, die Korbliegen auf dem Boden. Er zeigt auf den Holzanbau, in dem nur ein Bett, ein Tisch und ein Ventilator stehen. „Hier oben bist du vollkommen ungestört“, sagt er. Mir läuft der Schweiß den Rücken, die Arme und das Gesicht hinunter. Seit zwei Stunden bin ich auf der Suche nach einem Zimmer. „Morgen kommt der Papst“, wiederholten die Vermieter und sahen mich in ihren halbgeöffneten Wohnungstüren an, als wäre ich gestört.
Pierfranco hingegen pfeift abwertend durch die Zähne, als ich auf die Straße hinunter schaue, die schon heute für Fahrzeuge gesperrt ist. „Diese ganze Aufregung“, sagt er, „für einen veralteten Kauz.“ Seine Zimmer sind bis auf die schwüle Bretterbude auf der Dachterrasse trotzdem ausgebucht. Er winkt mich ins Wohnzimmer. Vor einer Weltkarte bleibt er stehen und tippt mit dem Zeigefinger auf rote Fähnchen. „Ich bin überall gewesen, in Island, Amerika, Russland. In Deutschland war ich auch, in Berlin, bevor die Mauer fiel.“ Er fragt mich, wo genau ich herkomme. Ich tippe auf einen winzigen Fleck kurz vor Dänemark. Er zieht die Augenbrauen hoch. „Von einer Insel?“ Ich nicke. Eilig bückt er sich, zieht eine Schublade auf, holt ein rotes Fähnchen heraus und klebt es mitten in die Ostsee. Ich sehe ihn an. „Und“, fragt er, „wie ist es da?“ „Flach“, antworte ich, „und meistens kalt.“ „Gut.“ Er streicht langsam über das Fähnchen. „Wie heißt die Insel?“ Ich greife einen Träger von meinem Rucksack, der an der Wand lehnt, und ziehe ihn über meine Schulter. Während ich auch meinen anderen Arm durch die Schlaufe schiebe, hebt er erstaunt den Kopf.

Monday, October 06, 2008

Palaver im Verschlag



Kpawa, ein junges Dorf, durch aufgeschütteten Lateritboden an das pulsierende Adergeflecht der Wege und Pisten zu Atem gekommen, verbunden mit den Kapillaren und Venen aus Schotter und Asphalt, durch die kleine Pickups, verrostet, verzogen, unzählige Male reanimiert mit ihren Waren fließen, prall gefüllt mit Yamswurzeln, zusammengehalten durch eine stramm gezogene Plastikplane, die sich weit über das Fahrgestell hinauswölbt, angetrieben vom Herzschlag des Handels.
Das Dorf hat laufen gelernt, ist größer geworden, hat Land gegessen, hat die alten und neuen Früchte verdaut. Um das Dorf herum hat sich ein Fäkaliengürtel gebildet, ein Ring aus Sträuchern, ähnlich dem eines Stadtringes einer europäischen Großstadt. Latrinen gibt es keine.

Ich sitze im Innern dieses Rings auf einem Holzstuhl im Schatten eines Verschlags nicht weit von Issifous Hütte. Niemand bewegt sich. Selbst dem Wind ist es dafür zu heiß. Die Hitze drückt auf meinen Körper als fließe nicht Blut sondern Blei in meinen Adern. Ich versuche gar nicht erst mich zu bewegen und bin froh, dass ich nicht sprechen muss, dass die Stühle neben mir leer sind auf denen sonst die Männer des Dorfes ihr Palaver halten.
Vor mir liegen regungslos drei Hunde in einem schmalen Schattenstreifen, geworfen von einem überragenden Stück Wellblech eines Daches.
Sie heißen: „Wer weiß“ (Qui sait), „Oder nicht“ (Ou bien) und „ Sprich für dich“ (dis pour toi). Namen, die wie passende Antworten in einem möglichen Gespräch im Schatten der Mittagsglut liegen. Gemeinsam versuchen wir so wenig wie möglich Energie zu verbrennen.
Ich frage mich, ob ein zartes Stück Antilopenfleisch mit frischen Basilikumblättern die drei wohl aus der Reserve locken könnte.
„Wer weiß“ dreht unmerklich aber dennoch eindeutig sein linkes Ohr in meine Richtung, ohne den Kopf dafür zu heben, als habe er meinen Gedanken gelesen. Die Kinderschar, die normalerweise an einem klebt wie die Fliegen an den verdorbenen Cashewfrüchten, hat sich verflüchtigt, in die wenigen Schattenplätze des Dorfes. Sie liegen auf einem Sandhaufen, einem Tisch oder einem kühlen Zementgrab im Hof der Hütte ihrer Eltern, neben Ziegen und Geschwistern.



Der Platz vor mir, eine Art Verbindungsstück zum Marktplatz, bietet mir ein dankbares Lichtspiel. Hunderte von kleinen Lichtreflexen flimmern auf, in Plastiktüten, ihren Fetzen, Blechdosen und Aluminiumverpackungen der Medikamente vom Schwarzmarkt, wie in einem Meer aus Rubinen und Kristallen, bis der Wind sie mit in den Wald nimmt oder jemand ein Feuer macht. Das Dorf ist jung, in voller Entwicklungsblüte. Man kann es wachsen hören, wie den Bambus, der sich täglich ein Stück in Richtung Himmel reckt. Die Wachstumsrate, ob Wirtschaft oder Bevölkerung liegt hier wahrscheinlich bei tausend Prozent. Zeit für die Priester und Imame das Opium an die Haken ihrer Angeln aufzuspießen und das Seelenfischen zu beginnen. Zunächst der Bau einer Moschee, dann daneben ein Brunnen, Leben spendendes Wasser für die verlorenen Seelen. Der Brunnen versiegt, nicht tief genug gebohrt, es bleibt der Koran.



Dieudonné kommt mit Innocent vom Feld zurück ins Dorf, Hacke und Gewehr geschultert, der Geruch nach Erde und Schweiß erfüllt ihren Raum. Die Hitze scheint Innocent nicht viel auszumachen. Er grüßt die Männer, die Mütter, die Alten, uns, mit einem Lächeln, das sein Gesicht zum Leuchten bringt. Seine vier Schneidezähne sind im rechten Winkel aus seinem Kiefer herausgewachsen und zeigen auf den Verschlag, unter dem gleich das Palaver beginnt und auf den er sich schon freut. Ob er denn mit diesem selbstgebautem Gewehr heute schon ein gefährliches Eichhörnchen erlegt habe, frage ich ihn. Innocent versichert er habe mit diesem Gewehr, aus dem ein Wattebausch vorne herauslugte, in seinen besten Tagen einen Büffel getötet. Ich glaube ihm und freue mich auf weitere Jagdgeschichten. Auch Issifou ist wieder im Dorf. Er und Dieuxdonné scherzen mit Issifous Hausmädchen Malaboue, die Essen für uns zubereitet, Peuhlkäse mit Reis, versprechen ihr eine Heirat als zweite Frau mit mir, dem Weißen. Malaboue heißt soviel wie: „Was hab ich getan?“ Ich frage mich, was wer für diesen Namen getan hat, frage später nach, im Verschlag, unter dem die Männer nach der Feldarbeit so gerne sitzen und bekomme Antwort.