Wednesday, May 28, 2008

Auf Dächern


Ich sitze in einem Sessel auf dem Dach, Blick auf Tel Aviv. Gerade, als ich mich dazu entschlossen habe zu schreiben „Neben mir steht ein leerer Stuhl“, kommt ein Mädchen, das den Stuhl wegnimmt. Ist der noch frei?
Ich habe Blick auf Tel Aviv bei Nacht.
Es gibt Postkarten: Tel Aviv at Night.
Notiz: Tel Aviv ist eine Welle, die Lichter der Hochhäuser sind Surfer.
In Klammern: Tel Aviv bei Nacht, Blick von Dachterrasse, Old Jaffa Hostel.

Was mir vor ein paar Minuten hier auf dem Dach erzählt wurde:
Es gäbe auf dem Weg von Jaffa in die Stadt einen kleinen Kameraladen. Die Besitzerin sei eine sehr alte Frau, eine Fotografin. Der ganze Laden hinge voll mit ihren Fotos von Old Jaffa.

Und es habe heute einen Wüstensturm gegeben, der auch für die plötzliche Abkühlung verantwortlich sei. Deshalb auch die Eintrübung des Himmels. Ich überlege, welche Wüste es sein könnte, aus welcher Himmelsrichtung der Wind kommt. Ich koste an meinem Unterarm, kein Sand.
Ich bin neidisch, nein eifersüchtig auf das Wissen, die Orte, die Begebenheiten, die mir bloß erzählt wurden.

Dafür sehe ich die Dächer. Ich erzähle die Dächer:
Auf den Dächern gibt es weitere Landschaften, kleine Behausungen, viel schöner als die Höhlen, die man sich als Kind so gern aus Bettlaken gebaut hat; die Wucherungen, die Türme aus angehäuften Habseligkeiten und die Gänge, die sich zwischen ihnen bilden, sind nicht zu vergleichen mit einfachen Dachböden, das hier sind die Dächer selbst. Auf den Dächern sitzt man auf Sofas, flippt Sandalen gegen den Wind, randaliert in seinen Gedanken oder ist ganz eins mit sich. Als Tourist spielt man auf diesen Dächern Maultrommel oder Gitarre. Wir kochen hier auf den Dächern. Wir suchen Kaffee auf den Dächern. Wir tragen Bierflaschen hier hoch auf die Dächer. Hier oben auf den Dächern werden die Vögel gefüttert, die Vögel in den Käfigen. Hier oben bei den Vögeln können wir schlafen, wenn wir wollen. Hier oben bei den Vögeln singen wir. Hier oben erzählen wir uns Witze aus Sachsen. Vom Dach sehen wir runter auf andere Dächer. Oh, all diese kleinen Wohnungen, die Zimmer, in die man nicht hineinsehen kann, weil sich ihre Kopfklappen nicht öffnen lassen. Auf ihren Köpfen thronen ungeheuerliche Massen alter Tische, Stühle, Herde, Schränke, loser Schubladen, Karren, Gestänge, unvergleichliche Stoffbespannungen – niemals wird das jemand wegräumen. Es gibt so bunte und es gibt so graue Dächer. Sie verändern sich, die so verschiedenen Dinge werden mit der Zeit einander immer ähnlicher, ihre Buntheit bleicht mit den Jahren aus, ihre Form verwandelt sich; was unterscheidet einen Tisch noch von einem Stuhl noch von einem Kühlschrank.

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