Monday, October 15, 2007

Halny (Krakau)



Auf dem Parkett liegt ein eingetrocknetes Blatt, von dem ich erst dachte, es sei eine winzige Kröte. Seine Ränder sind nach innen gewölbt, als habe es sich zusammenziehen wollen, um sich auf diese Weise fortzubewegen und sei dann in dieser Bewegung erstarrt. Eine eigenartige Form herbstlicher Schwüle liegt im Zimmer. Die Bäume draußen biegen sich unter starkem Wind, den man kaum hört.

Ich wechsle meine Bettbezüge und sehe, dass ich die ganze Zeit auf einem Tigerkopfkissen geschlafen habe. Der Tigerkopf, grob gedruckt in braun-weiß, befindet sich nicht auf dem Kissenbezug, sondern auf dem Kissen selbst. Im Hintergrund des Tigerkopfes riesige Palmen, Farne und die Andeutung eines weiteren Tigers. Darauf habe ich geschlafen. Leicht und weiß kreisen ein zwei Gedanken immer wieder um meine Stirn, wie Fliegen.

Es sind Fliegen.

Draußen durchziehen Magnetfelder die Luft, einander anziehende, einander abstoßende. Der Wind hat genau dieselbe Temperatur wie seine Umgebung. Meine Haut, unter dünner Kleidung, ist elektrisch aufgeladen. Halny. Fallwind von der Tatra. Macht alle verrückt, ohne dass sie es bemerken. Es sind Haarrisse von Verrücktheit, die sich durchs Hirn ziehen.

Die Frau, die das Holz stapelt, drüben am Pferdehof, ich sehe sie zum ersten Mal. An der Längsseite des Stalls stapelt sie kleingeschlagenes Holz. Sie läuft in kleinen, schnellen Schritten hin und her zwischen einem großen Haufen Holz und dem Stall. Ihre Kittelschürze, ihr großer Pullover und ihr lose hochgestecktes Haar wehen im Wind. Sie ist alt. Sie singt und spricht vor sich her, und das wird alles vom Wind sofort weggenommen.

Halny ist aufsässig. Aber nichts geht an ihn verloren. Dadurch ist die Luft so dicht. Das Licht ist weich und trüb in den Wind integriert.

Von allen Richtungen fliegen Blätter auf mich zu. Sie bleiben um mich herum liegen, auch auf mir; an meinem Pullover kleben schon vier. Sie sind klein und trocken; sobald ich sie anfasse, fallen sie auseinander.

Die alte Frau hat immer nur einen Holzscheit in die Hand genommen. Sie ging mit dem Holzscheit zur Wand. Das Holz war schon hoch aufgestapelt. Ein Fenster des Stalls war bereits zur Hälfte dahinter verschwunden. Sie musste sich recken, um den Scheit oben auf legen zu können.

Sie erzählte mir etwas, über den Zaun hinweg, als ich vorbeiging, auf dem Weg zum Park. Ich verstand ja nichts. Ich sagte tak tak und sie lächelte mir freundlich zu, erzählte weiter, sang, nahm den nächsten Scheit.

Das Tigerkopfkissen liegt jetzt im Schrank unter den Handtüchern.

Halny dauert meist nur einen Tag, selten zwei.

2 comments:

Anke Bastrop said...
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Anke Bastrop said...

Ich möchte Frau Katja Thomas aus Leipzig ein freundliches Lob für diesen sehr feinen Text aussprechen.