Tuesday, September 16, 2008


Tansania unter Strom.

Gestern bei der ersten tansanischen Lesebühne fiel beim ersten Vorleser der Strom aus, die Show wurde dann im Schweinwerferlicht fortgesetzt. Den Strom lieferten zwei Autos mit laufenden Motoren.


Unerfreulich ist, dass das Clove Hotel mein Zimmer schon vergeben hat, ich hätte es nochmal bestätigen müssen, erfahre ich von der Managerin. Sie verweist mich ins Kiponda, was nur 20 $ die Nacht kostet und mir auch ausreichend scheint. Dann zu göttlichem Essen bei einer dänischen Ärztin, Leonie hat eine bezaubernde, ungefähr 10jährige Tochter. Die Hausherrin, die ihren Abschied feiert, weil sie zurück nach Aarhus fliegt, segelt leidenschaftlich gern, an einem Boot aus Zement arbeiten sie seit 30 Jahren, bald wird es fertig sein. In Sansibar gab es 10 Jahre lang einen Armenarzt, erzählt sie, auch Europäer, der nahm nur von den Reichen Geld und behandelte die Armen umsonst. Dann hat er betrunken rumgebrüllt und den hiesigen Regierungschef beschimpft, er ist sofort ausgewiesen worden.


Später durch die dunkle, von Generatorengebrumm erfüllte Stadt. Der seit Wochen andauernde Stromausfall ist durch die Beschädigung eines Unterwasserkabels von Dar Es Salaam verursacht und niemand weiß, wie lange er noch anhalten wird. Das Gefühl ist, es passiert gar nichts. Im Hotelzimmer ist es mit dem Deckenventilator einigermaßen auszuhalten, liege in Unterhose unterm Moskitonetz. Wie ich aber, wenn um 22 Uhr der Generator abgeschaltet wird, schwitzend die Nacht überstehen werde, das steht auf einem anderen Blatt.
Wie lange ich manchmal brauche, bis das Offensichtliche und Naheliegende in meinem Kopf zur genialen Idee wird: Natürlich über den Stromausfall, Ursachen, Konsequenzen, voraussichtliche Dauer usw. berichten, dazu noch schöne Fotos der nächtlichen Lichtszenen, also morgen frisch ans Werk, Schreiberling!

Schlafe wider Erwarten fabelhaft, morgens geht für eine halbe Stunde der Strom an, nach einer Woche ist auch mein Magen-Darm-Trakt wieder in Ordnung, was für eine Freude zu leben!

Ich treffe Leonie Schollmeyer. Manchmal fragen sie Freunde oder Verwandte: „Ihr habt häufig Stromausfall?“ „Nein“, lacht sie dann, „Wir haben nur einen, und den seit vier Wochen!“ Sie ist eine der deutschen Mitarbeiter der Dhow Countries Music Academy, die am Hafen der Insel in einer arabischen Villa residiert. Trommeln, Gitarren, Klavier und Geigen klingen durch den kühlen Innenhof, und das Dröhnen eines Generators.

Das nun defekte Stromkabel führt durch den Indischen Ozean von Ras Kilomoni über das Festland von Tansania zum sansibarischen Ras Fumba. Hakon Hamre, norwegischer Ingenieur, der von den tansanischen Behörden zu Hilfe gerufen wurde, äußerte sich nach Besichtigung der Anlagen auf Sansibar: „Ich kann nicht sagen, wann der Strom wieder fließt, aber wir erwarten, dass die Arbeiten bis zu drei Monate dauern, weil das Problem sehr speziell ist.“ Er führt das Versagen des Kabels auf eine Überspannung zurück, die an dem Schicksalstag als Folge des Zusammenbruchs des tansanischen Stromnetzes auftrat. Die Meldungen der tansanischen Presse über den „Zanzibar power blues“ sind verwirrend, das Kabel sei explodiert, die Kühlflüssigkeit für die Leitung werde nach Frankreich geschickt, um dort getestet zu werden, bevor sie das Öl für ein neues Kabel verwenden, und das obwohl dieses Öl seit 28 Jahren erfolgreich ein Kabel in Dar Es Salaam schützt. Sicher ist jedenfalls: Es gibt keinen Strom und niemand weiß, wann er zurückkommt. Hotels und kleine Fabriken hätten schließen müssen, 30000 Personen seien durch die Stromsperre arbeitslos geworden. Diese Zahlen sind wohl schwer zu bestätigen in einem Land, in dem sowieso die meisten arbeitslos sind. Zweifellos trifft die fehlende Energie die Fischer am stärksten, die große Meerestiere gar nicht mehr verkauft bekommen: Was man nicht am selben Tag verzehren kann, würde mangels Kühlung unweigerlich verderben.

Eine Spanierin, die in ein Hotel unweit der Stadt betreibt, nennt den Stromausfall einen „Alptraum“, das Angebot der Restaurants ist eingeschränkt, die Wasserpreise sind auf 1000 Schilling für die 20-Liter-Flasche gestiegen. Die Preise für Wasser, Benzin und Diesel haben sich fast verdoppelt, Generatoren gibt es gar nicht mehr zu kaufen, weder hier noch in der drei Stunden mit der Fähre entfernten Hauptstadt Dar Es Salaam.

Nassor Rajubu Dachi ist Direktor der örtlichen Filiale der FBME Bank, und natürlich darf er nicht über wirtschaftliche Auswirkungen auf sein Geschäft sprechen und sich auch nicht fotografieren lassen. Aber über seine private Situation gibt er gern Auskunft. Er kauft Benzin für den Generator der Nachbarn und bekommt deshalb von ihnen Strom. Dass sich Nachbarn durch diese Situation näher kommen, sei eine gute Sache. Schließlich singt er noch ein Loblied auf die Regierung, die alle Generatoren aus ihren Büros für die Wasserquellen zur Verfügung gestellt hat.

Mücke Quinckhardt, Direktorin der Musikschule, ist skeptisch über diese schnelle unbürokratische Hilfe. Die Hamburgerin mit hugenottischen Wurzeln kennt Sansibar seit 1989: „Dass man Stunden und Tage keinen Strom hat, ist normal. Aber über einen Monat?“ Noch nach einigen Tagen dachten sie, dass es bald vorbei sein müsste.
In der Akademie erlernen einheimische Schüler traditionelle Musik. Dort haben sie zuerst ihren Arbeitsalltag umgestellt, Zeitung gelesen, statt sich im Internet zu informieren, die Ablagen wurden aufgeräumt und alles erledigt, wozu man keinen Strom benötigt. Mit ihrem Laptop konnte sie, wenn der Akku aufgeladen war, drei Stunden Texte und Protokolle schreiben. Nun gehöre zur täglichen Routine, zwei Stunden in einem Stonetown Café zu sitzen, um das Handy und den Laptop aufzuladen, ins Internet zu gehen und dabei für 1500 Schilling Kaffee zu trinken. Die Gesprächskultur ändere sich entscheidend, mit den schwedischen Paar aus der Nähe, mit dem sie nie gesprochen habe, unterhielt sie sich nun stundenlang über Strom und Wasser. Überhaupt die fruchtbaren Gespräche, auch in ihrer Schule: „Bemerkenswert, wie sich die Kommunikation verbessert hat.“ Es gebe so Stories, das Kabel sei vor 30 Jahren gelegt worden und habe eine maximale Lebenszeit von 30 Jahren, aber keinerlei Vorkehrungen seien getroffen worden, keine Ersatzteile standen bereit. Früher gab es hier für jedes Stadtviertel Generatoren, die wurden alle abgebaut und verkauft.

Der Reiseführer schwärmt über die größte Stadt von Sansibar: „Die Gassen von Stone Town strahlen Ruhe und Gelassenheit aus, und manchmal, so scheint es, bleibt die Zeit stehen. Jegliche Hektik und der Stress von zu Hause geraten für eine Zeit in Vergessenheit.“ Von wegen, die Stadt brummt an jeder Ecke, kein Laden, kein Hotel, keine Bank und kein Restaurant kommt gegenwärtig ohne Dieselgenerator aus. David Livingstone nannte die Stadt verächtlich „Stinkibar“: „Der nächtliche Gestank ist so krass, dass man sich daraus ein Stück schneiden könnte, um damit den eigenen Garten zu düngen.“ Die Kanalisation hat diese Zustände längst gebessert, und doch könnte man die Stadt heute wieder so nennen. Nur ist es heute der Gestank der Generatoren.

Befrage noch Farina (11) darüber, was sie am Stromausfall stört: Dass man morgens nichts Warmes haben kann. Man muss das Wasser mit der Hand schöpfen, der Lärm der Generatoren, dass man nichts mehr lesen kann. Schule fällt nicht aus, weil sowieso Ferien sind. Aber am ersten Tag des Stromausfalls hatten sie Prüfungen und die Klasse war am Generator und der machte einen Höllenlärm. Dass man nichts Kaltes kriegt, kein Eis, ohne das Doppelte zu zahlen. Auch Zalia (10) erinnert sich an den Beginn, da mussten sie eine 4-Liter-Box Eis aufessen, danach war ihr schlecht. Dass man abends in der Dunkelheit stolpert, gefällt den Kindern ebenfalls nicht. Aber auch Positives erkennt Farina im Energiemangel: „Es gibt mehr Kommunikation: Hier hat jeder eine große Mauer um sein Haus, jetzt heißt es: Wo lädst du Dein Handy auf? Hast du Wasser? Kann ich bei dir mein Handy aufladen?“ Am meisten schmerzt sie, dass sie keine von den 60 DVDs angucken kann, die sie aus Deutschland mitgebracht hat.

Ich esse wieder im Malindi, dort kennen sie schon den einzigen Mzulu und bringen mir dasselbe wie gestern. Während die Einheimischen die Gewürzrinde und Kerne alle neben die Teller auf die Wachstuchdecken drapieren, esse ich alles auf. Merke beim vergeblichen Versuch eines Mittagsschlafes, wie eine neue Durchfall-Welle vom Magen in die unteren Eingeweide gluckert.

Später habe ich das Glück des Schlenderers, Höhepunkt meiner Power-Blues-Recherche: Treffe auf eine voll in Betrieb befindliche Generatorenwerkstatt, bei der ich Dank meiner Videokamera jede Menge O-Töne aufnehmen kann. Wirklich begeistert sind die Betreiber, ein Brüderpaar, nicht von den Veränderungen durch den Stromausfall: Zweimal ist schon bei ihnen eingebrochen worden. Ob sie sich wünschen, dass der Stromausfall anhält? Sie lachen, das ist auch eine Antwort.

Im Hotel buche ich Hals über Kopf die Fahrt für morgen um 8 nach Bwejuu an der Ostküste. Der Hotelmanager behauptet, der Chef von Tansania habe versichert, heute oder spätestes morgen sei der Stromausfall vorbei. Hoffe sehr, dass da Gott vor sei. Meine ganzen Recherchen, alles für’n Arsch?

Nachts sitze ich auf der Terrasse des Africa House mit einem Pärchen, er Physiker aus München, sie eine Abiturientin aus Reinickendorf, die in Süd-Tansania volontiert hat, und einem Steuer-Entwicklungshelfer aus Hanau an einem Tisch. Hanau, nenne man auch die Stadt des goldenen Schmuckes. Noch nie gehört. Hier auf Sansibar gebe es keine Tribalism, die Anspruchshaltung allgemein in Tansania, die Korruption sei hier geringer als in Kenia. Man stimmt mir zu, dass Sansibar gegen Helgoland ein schlechter Tausch war. Was bin ich heute rumgerannt, aber gut war’s.

Abfahrt ½ 9, die Fahrt nach Bwejuu im Kleinbus kostet 12000 Schilling, 10 $, mit mir im Bus sind noch ein holländisches weibliches Pärchen und drei Einheimische. Es handelt sich um eines der vielen in China ausrangierten Fahrzeuge, etliche auf den Straßen haben noch die chinesischen Werbeschriften auflackiert.
Bald geht es durch die ärmeren Vororte, dort sind keine Generatoren mehr zu sehen. Ein großer Markt, Zebus, ein Friedhof, Palmwälder, Busch. Wenn gehupt wird, müssen die Radfahrer Platz machen und von der Straße auf den Seitenstreifen. Schilder und Fahrbahnbuckel erzwingen langsames Fahren, als ich mich gerade frage, welche Tiere hier die Fahrbahn kreuzen, Krokodile? Nilpferde? Auerochsen? sehe ich die süßen Affen in freier Wildbahn, wenn man das hier in der Nähe der Straße so nennen kann.
Einen Africafe, wie der allgemein verabreichte lösliche Kaffee hier heißt, nehme ich im gastronomischen Zentrum der Evergreen Bungalows zu mir. Hier im Paradies werde ich also 24 Stunden verbringen, lesend, schreibend, hoffentlich joggend, und trotzdem fragt es in mir: Was soll ich hier?

Später liege ich in der Sonne und lese Kapuścińskis „Afrikanisches Fieber“ zu Ende, was für ein herrliches Buch und schade, dass ich es nun ausgelesen habe. Regen und Sturm, immerhin habe ich wohl genug Sonne abbekommen. Ein dubioser Jimmy will 10000 Schilling Deposit, um Benzin für die morgige Fahrt zurück zu kaufen, sein vernarbter Kumpel im Blaumann ist genauso wenig Vertrauen erweckend, zu dumm darf Abzockerei nicht eingefädelt werden.
Im Gegensatz zu gestern gelingt mir in meiner Palmhütte der Nachmittagsschlaf. Das Bewusstsein zu schlafen, erfüllt mich mit so unbändigem, alles umfassendem Glück, dass ich mich an etwas Ähnliches überhaupt nicht erinnern kann.

Die Nacht in Bwejuu besteht aus einer zum Teil aberwitzigen Folge von Malaria-Moskito-Angriffen und Verwicklungen in das bescheuerte Moskito-Netz. Lese GALORE vom April zu Ende, ein Interview mit Maxim Biller, in dem er behauptet, intelligente deutsche Frauen liebten guten Sex, ansonsten stellt er sich als komplettes Arschloch dar, arrogant und langweilig. Ob er das absichtlich macht? Das Heft trotz Strunk-Interview dünn, voller Fehler („Sommer vom Balkon“), inhaltlich und stilistisch. Die Nadeln, mit denen sie das Heft zusammen nähen, sind wohl etwas heiß.

1 comment:

Patrick S. said...

Ein sehr schöner Beitrag. Da ich in zwei Wochen meinen s.g. Lebensmittelpunkt nach Dar verlagere, haben mich die beschriebenen Nöte sehr berührt. Über Dar ist auf diesem Blog ja bereits einiges geschrieben worden, wobei ich leider selbst nie auf das schöne Wort Generatorengebrumm gekommen bin.