Tuesday, September 09, 2008

Über Entdecker und Sodabi


Einer der drei Männer hat eine Hacke geschultert, der Stil grob geschnitzt, das Eisen leicht wellig. Kein Relikt aus der Bronzezeit, sondern wichtigstes Werkzeug auf dem Feld. Neben ihm auf gleicher Höhe, vielleicht sein Bruder, wirft die einzige Glühbirne der Nacht harte Schatten auf das von Sonne und Arbeit gegerbte Gesicht. An der Spitze führt der Vater oder Chef seines Viertels das Begrüßungsritual an, auf das die kleine Gefolgschaft rhythmisch einstimmt.
– Sei gegrüßt. - Ja sei gegrüßt. – Wie geht’s der Familie? – Ja, der Familie geht’s gut. – Der Familie, ihr geht’s gut? – Ja, und die Gesundheit, was macht die Gesundheit? – Gut, was machen die Kinder? –Ja gut, der Frau geht’s gut? – Was macht das Feld? - Ja das Feld, es geht.- Und die Mutter? – Ja, der Bruder? – Vater? – Oma? – Die Nichte? – Der Cous…? – Hm! –Hm! Die Sätze werden kürzer, zu Halbsätzen, Worte folgen, ziehen sich zurück in den Gaumen und verenden in langsam leiser werdendes Summen auf den Lippen. Minuten vergehen. Ich versuche mich zu konzentrieren, um das Ende der Geschichte nicht zu verpassen, die Issifou gleich weiter erzählen wird, wenn er mit der Begrüßung fertig ist.

Hinter mir liegt ein langer Tag, eine lange Fahrt über rote Lateritböden. Staub, aufgewirbelt von unserem Wagen, lang und dicht wie die Kondensstreifen der Flugzeuge, legt sich auf die ausgetrockneten Flussbetten, in die Spalten der vor Trockenheit aufgerissenen Erde oder die Kinder auf ihrem Schulweg. Im Dorf angekommen gehört es zum guten Ton kleine Geschenke mitzubringen. Batterien, Zigaretten, Stifte, ein Radio, Fotos vom letzten Mal.
Das Lachen von Bar Forensi, dem Dorfbegründer, explodiert in den Schatten des Baobabbaums, unsere Köpfe berühren sich jeweils zwei mal auf der gegenüberliegenden Seite der Stirn, zum Dank für die Flasche Gin, die hier nicht nur von den Geistern geschätzt wird. Den Gästen gebührend ließ Bar Forensi erfreut zwei Gläser kommen, Wassergläser, schenkte den auf 30 Grad temperierten Gin randvoll ein, reichte uns die Gläser. Das hatten wir nicht bedacht, schauten in Bars leuchtendes Gesicht, in seine vor Freude über die Gäste glühenden Augen. Der Gin brannte an unseren Kehlen entlang bei 43 Grad Außentemperatur, die Hitze legte sich wie eine Glocke schützend über uns, lockerte die Zungen, bereit für eine Tour durchs Dorf, zur Begrüßung, zum Einchecken in unsere kleine Lehmhütte, die man für uns geräumt hatte.

Bar Forensi trägt eine lilafarbene Baseballjacke, eine zerfranste Bermudashorts und eine traditionelle, nach oben konisch zu laufende Mütze, ähnlich die einer Zipfelmütze, nur ohne Zipfel, ebenfalls lilafarben. Er folgte vor einigen Jahren einer Schneise, die für eine Straße in den Busch geschlagen wurde, verbrannte alle ihm im Weg stehenden Bäume für einen Acker, gepflügt mit einer einfachen Hacke, um die begehrten Yamswurzeln anzupflanzen, die die Hitze lieben wie ein Vulkan seine Lavaströme. Es kamen Dendi, Fulbe, Haussa, Fongbe als Christen, Moslems oder Animisten, sie leben in ihren Vierteln, friedlich, als Bauern, solange der Vorrat reicht. Man versteht sich, ohne auf eine gemeinsame Sprache zurückgreifen zu können. Nur ihre Kinder, sie spielen mit den Sprachen, als seien es ihre leeren Fahrradmäntel, die sie mit Stöcken durch das Dorf jagen. Es ist mein Freund, der Geograph, der sich für diese Bevölkerungsbewegungen interessiert, den ich hierhin begleitet habe.


Der Sodabi, ein aus Palmen gewonnener Schnaps, scharf wie eine Rasierklinge und klar wie der Instinkt einer Hyäne vor seiner Beute, fließt in das kleine Glas, aus der Flasche ohne Etikett, macht die Runde, zu dem Mann mit der Hacke, seinem vielleicht Bruder, zum Chef oder Vater, zu uns. Auf die Besucher, auf die Familie, auf das Feld, den Reichtum, das Neugeborene, das Glück, die Fruchtbarkeit, die Ahnen. Und jedes Mal, bevor sich der Sodabi den Weg in die Untiefen des Körpers freibrennt werden ein paar Tropfen auf die Erde gegossen, als Tribut für die Geister, den Fetischen, den Marabous.
Issifou, vor dessen Haus wir sitzen, begrüßt noch den einen oder anderen Ankömmling, hatte den Faden seiner Geschichte längst verloren, was keiner von uns bemerkte und erzählt nun von einer Radiosendung, in der von einem Beniner Profifußballer berichtet wurde, der seine Karriere aufgeben musste, als er unter Schmerzen feststellte, er habe Glasscherben in seinem Knie. Eifersüchtige Verwandte aus seinem Heimatdorf, mit den Ahnen im Bunde, hätten ihm das zugefügt. Raunen, Mitgefühl, man sei nirgends sicher, was er wohl gemacht habe. Ob er nicht einfach nur schlecht gespielt habe, wollten wir wissen. Gelächter. Issifou kannte das schon von uns. Ein Spiel zwischen ihm, dem Assistenten des Geographen und dem Patron selber. Unfassbar, dass wir so etwas denken können. Nur die Weißen können so ungläubig sein. Bis spät in die Nacht geht das so weiter, im Licht der nackten Glühbirne, unter dem Singen der Zikaden, dem Quietschen des Keilriemens der Maismühle, dem Krächzen des Radios aus dem Dendi- oder Haussaviertel, über Pulver welches unverwundbar oder unsichtbar macht, über Geldverdoppler oder Charlatane.

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