Monday, December 17, 2007

Betrachtung einer Gazelle

Zoan war Südafrikanerin. Sie hatte lange auf einer Farm gelebt, die direkt an den Kruger National Park grenzte. Ihr Haus war ganz in die sanfte Hügellandschaft eingeschlossen gewesen, und je nachdem wie der Wind stand, hatte sie mal die Pfiffe der Hyänen, mal die der Pfauen gehört. Sie meinte, den Tönen immer anhören zu können, wann die Tierkehlen besonders angespannt (oder angestrengt) waren und weshalb die Töne dann vielmehr nach Schreien als nach Pfiffen klangen. Sie waren eigentlich recht oft angespannt gewesen, auch die Flugbewegungen der Vögel, das Herumstreunen der Gazellen hatte etwas Irres. Eine Gazelle war mal in ihren Garten gekommen und hatte darin ganz die Orientierung verloren. Wie eine Besessene war sie immer wieder gegen den Lattenzaun angerannt, als wäre das ein Strauch, durch den sie mühelos gleiten könnte. Sie hatte dann noch tagelang völlig entkräftet unter dem Küchenfenster gelegen, durch das Zoan sie betrachtet hatte, das zarte Gesicht, den Wimpernschwung über den Augen, die Nase, die etwas Strenges, Elitäres hatte, den Hals. Nie zuvor hatte sie einen so schönen, so glatten Hals gesehen. Er war von einem milchigen Braun, das sich unter dem Kinn aufhellte und sich sicher kühl anfühlen würde, seidig. Die ganze Schönheit der Gazelle rührte aus der Klarheit ihres Aussehens, dem unverstellt traurigen Blick, den scheuen Bewegungen des Mundes. »Die Gazelle malmte unter dem Küchenfenster, und ihre Kaugeräusche wurden zu einem Rhythmus. Ich hörte den ganzen Tag diesen Rhythmus, fing an, mich in ihm zu bewegen.« Je länger Zoan sprach und Marfa sie ansah, desto klarer wurden die Konturen der Streben, Zoan verschwamm. Marfas Blick streifte Zoans Shirt und blieb dort an einem Fleck hängen, sie verfiel augenblicklich in Mitleid. »Die Ohren der Gazelle, die ich gerade noch sah, als ich aus dem Küchenfenster blickte, die also jäh vorbeiflogen und sofort wieder verschwanden, waren Teil der Landschaft. Ich sah sie nicht mehr, aber sie waren trotzdem da.«

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