
„Das“, sagt Ante und zeigt auf eine Fotografie an der Wand, die wirkt, als haette jemand den kleinen Hafen bei einer Antikbootmesse geknipst, „ist Zlarin vor hundert Jahren.“ Ich ueberlege, ob ich ihn bitten soll, mit mir vor die Tuer zu treten, zu eben jener Stelle, wo vor hundert Jahren jemand seinen Hafen verewigte. Dort koennten wir gemeinsam auf den Ausloeser meiner Handykamera druecken und das Foto anschließend neben seinen alten Zwillingsbruder halten. Ante legt den Kopf schief und grinst abwechselnd mich und die Fotografie an, als haette er uns bei einer Verschwoerung ertappt. Die Kirchenglocke mischt sich in mein stummes Selbstgespraech ein: Jemand scheint mit einem Holzloeffel und einem Blech die volle Stunde in die Bucht hinunter zu schlagen. Mit jeden Schlag halte ich es fuer moeglicher, eine unabsichtliche Zeitreise unternommen zu haben. Ante und seine Frau Karmela, faellt mir jetzt auf, sind, von zwei doesenden Katzen einmal abgesehen, die einzigen Lebewesen, die mir hier bislang begegnet sind. Ungeruehrt geht Ante mit meinem Reisepass und einem dicken Gaestebuch ins Wohnzimmer, laesst sich in ein Sofa fallen und schlaegt mit der rechten Hand auf die leere Sitzflaeche neben ihm. „Deutsch“, murmelt er und betrachtet das rote Buechlein, „viele Gaeste. Italien. Frankreich.“ Ich nicke und betrachte die dunkle Schrankwand samt dazugehoeriger Porzellanfiguren, die eindeutig einem anderen Jahrhundert als die Fotografie entstammen. Beim lauten Lesen meines Nachnamens zieht Ante interessiert die Augenbrauen in die Hoehe. „Aus Polen, richtig“, bekraeftige ich und sehe zu, wie eine fremde Handschrift meinen Namen schreibt. Feierlich, als wuerde er mir sein Familienalbum zeigen, schlaegt Ante das Buch zurueck, tippt mit dem Finger auf die Namen anderer deutscher Besucher und erzaehlt bruchstueckhafte Anekdoten. Dr. Breuninger scheint ein Mann mit kugelfoermigen Ausmaßen gewesen zu sein, der am liebsten im Wasser lag, seine Ulla hingegen eine wellengleiche Frau, die sich vor allem für Olivenbaeume und Granataepfel begeisterte. Ante lacht in sich hinein, als koennte er noch ganz andere Geschichten erzaehlen. Ich bemerke die Weintrauben auf dem Tisch und frage, ob es seine seien. Ploetzlich strahlt sein Gesicht; er springt auf, laeuft zur Tuer hinaus und kommt mit einer Weinflasche und zwei Glaesern zurueck. Ich traue mich nicht, das Angebot abzulehnen, obwohl die Nachmittagssonne und mein leerer Magen aehnliches erwarten. Erwartungsvoll schaut Ante mich an. Ich nippe, laechle, sage „sehr gut“ und rechne mir ebenso gute Chancen aus, in sein Buch als guten Geschmack einzugehen. Mit ausladenden Handbewegungen und wenigen Worten beschreibt er mir den Stolz des eigenen Weinanbaus, ruft ploetzlich: „Sarah“ und „njemacka“, lacht, als haette das eine mit dem anderen nicht das geringste zu tun. Ich werde muede von so viel Enthusiasmus, zeige auf meinen Rucksack und auf meinen Bauch. Er schiebt mich immer noch lachend zur Tuer. Auf der Treppe nehme ich Karmela das Bettzeug ab. Sie winkt mich in mein zukuenftiges Schlafzimmer, oeffnet die Fensterlaeden und drueckt meinen Oberkoerper hinaus. Die Sonne haengt wie ein matter Scheinwerfer zwischen den Huegeln und erzeugt lange Schatten. Ein Kutter gleitet durch tuerkise und blaue Flecken in den Hafen. Das Foto koennte auch von hier geschossen worden sein. Am Kai steht ein Hund und schuettelt sich, bevor er zu seinem Herrchen aufs Boot springt. Karmela klopft mir auf die Schulter und geht nach unten.