Wednesday, November 26, 2008

Störsignal



Das Telefon klingelte. Ich schloss das Fenster, stellte die Klimaanlage an, drängte die mit Telefonkarten behängten Hände der Händler zurück, schottete mich ab. Die Fensterscheibe surrte nach oben und trennte den schweren, bleihaltigen, von den zahlreichen Mopedtaxis herausgerotzten blauen Dunst, von der kühlen, klaren Luft des Fahrzeuginnenraums. Ein sauberer Schnitt, wie durch einen Käse, um ihn von dem vergammelten Schimmel zu befreien. Mit dem Dunst wich das kakophonische Gemisch aus Motorengeheule, dem Anpreisen von Waren, Musik aus Autoradios und den Boxen der CD-Händler, langsam, weich ausgeblendet, bis alle und alles auf unnatürlicher Weise in einen dumpfen Raum verschwanden.

– „Hallo!“ – „Hallo!“ – „Ja hallo, wer ist dran?“ – „Hallo!“ – „Ich höre, wer spricht?“ – „Hallo!“ Tolles Gespräch, ich legte auf. Kurze Zeit später klingelte das Telefon wieder.
- „Hallo, wer spricht?“ – „Hallo“ –„ Mit wem hab ich die Ehre? Sprich!“ – „Suleiman?“
- „Nein, hier ist nicht….“ Aufgelegt. Kein „Ich hab mich verwählt“ oder so was, geschweige denn eine Entschuldigung.


Das Reservoir an Zeit in Benin scheint endlos. Kleinste Bewegungen werden in Restaurants oder auf der Post geduldig zelebriert oder die zehnte Zurückweisung auf dem Amt mit einer Frömmigkeit hingenommen, bei der selbst das Lamm vor seinem Henker längst rebelliert hätte. Was bedeutet auch schon die Zeitspanne eines Lebens im Diesseits wenn es um die Ewigkeit im Jenseits geht, in der, ist etwas schief gelaufen, kochende Blutströme auf einen warten.
Geht es aber darum sich an der Ampel einen Zeitvorteil von wenigen Nanosekunden herauszuarbeiten, wird gehupt, gedrängelt, gerempelt und gestritten. In die kleinsten Räume schlängeln sich die Mopeds, entschlossen und zielstrebig wie eine Ameisenstraße, vorbei an Taxis, Bettlern und Händlern. Am Ende der Reise ist derjenige, der besucht werden sollte, nicht zu Hause und die Kosten für Benzin ein Vielfaches Höher als die Einheit, die ein Telefonanruf gekostet hätte. Wieder klingelte das Telefon, diesmal verstummte es nach einem Klingeln. On m’a beepé, man hat mich angeflashed, angeklingelt, ein Signal gesendet mit der Bitte um Rückruf. Ich schaute auf das Display und sah die Nummer von Segun, einem Freund aus Lagos, der seit acht Jahren in Benin lebt. Ich wählte seine Nummer, bekam aber nur ein Störsignal zu hören, der Absturz des Telefons folgte.


Eine Nachrichtensendung auf Fon, der lokalen Sprache des südlichen Benins, veranlasste mich zu einem Senderwechsel. Auf Atlantique FM lief eine Quizshow. Der Moderator sprach mit tiefer, effektvoller Stimme in einem Duktus, wie man ihn in aller Welt in kommerziellen Radiosendungen zu sprechen pflegt. Ein Rückwärts gespieltes Lied sollte von dem Anrufer erraten werden, hätte er die Möglichkeit bekommen den einleitenden Smalltalk zu überstehen.
Ich konnte hören, dass er sich vorstellte, für den Namen war es aber zu leise, auch nach mehrmaligen Wiederholungen. Der Moderator schien gar nichts zu hören, hakte ungeduldig nach, forderte zum lauter sprechen auf, bat um Distanz zum Radio. Es half nichts, es dauerte nur wenige Sekunden und der Hörer war draußen, Musik. Die Gespräche liefen immer nach dem gleichen Muster ab, die Hörer stellten sich brav vor, der Radiosprecher wurde immer ungeduldiger und schmiss den Anrufer raus, die Musik, tanzbar, groovy, wurde lauter.
Nicht selten kommt es vor, dass beim Telefonieren nur die eine Seite Zugang zum Gesagten des Anderen bekommt, die Möglichkeit blieb aber unkommentiert. Man machte weiter wie bisher. Wieder Musik, diesmal länger, ein Stück von Polyrithmo wird ausgespielt, Salsa mit afrikanischen Rhythmen ließ mich durch die Stadt schweben, vorbei an einem Rindermarkt, an Wellblechhütten, entlang am Meer, der Lagune, auf der die Fischer ihre Netze aus den Pirogen werfen.
Der Moderator meldete sich schwungvoll mit einer Begrüßung eines Anrufers zurück, verstand die Antwort und konnte endlich seinen Smalltalk einleiten. Wie geht’s, Wie heißt du, von wo rufst du an, wie lautet dein Lieblingssender und so weiter. Offensichtlich hatte jemand die Panne bemerkt, das Telefonnetz, wie üblich. Was folgte war ein Knacken und Pfeifen in Tinitus verdächtigen Frequenzen, diesmal, wenn der Anrufer sprach. Der Moderator hörte davon nichts und plauderte munter weiter. Senderwechsel.